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Abraham Lincoln ist eine Vaterfigur der US-amerikanischen Nation. Steven Spielberg setzt ihm ein filmisches Denkmal.

Er ist untrennbarer Teil des nationalen Narrativs. Barack Obama, eben wiedervereidigter US-Präsident, schwor auf seine Bibel. Und jedes Schulkind kennt Leben und Leistungen Abraham Lincolns, die Gettysburg Address, jene kurze Rede, die als Meilenstein des modernen Demokratie- und Freiheitsverständnisses der USA gilt, ebenso wie die Ermordung des Präsidenten am Karfreitag des Jahrs 1865.

Geschichte und Mythos umranken diese Gestalt, selbstredend, dass sich auch Hollywood des Rechtsanwalts aus Illinois annahm und annimmt, dessen Namen synonym für die Sklavenbefreiung steht. Vor Jahresfrist ließ Robert Redford, längst in den Regie-Olymp aufgestiegen, mit seiner "Lincoln Verschwörung“ aufhorchen. Dort wird die Geschichte der angeblichen und tatsächlichen Verschwörer und Mörder Lincolns anhand eines Gerichtssaalthrillers in klassischer Manier erzählt. Schon dieses filmische Beispiel zeigt, dass das große Kino sich der großen Gestalt am besten über die "kleinen“ und unbekannten Episoden nähert. Und das verschafft - bei aller historischen Freiheit - jedenfalls beim europäischen Betrachter auch einen ordentlichen Mehrwert an Geschichtswissen. Schon allein von daher war Redfords Opus eine eindrückliche Sache.

Nun hat sich ein Spezialist für Mythen, Steven Spielberg, an den übergroßen Altvorderen herangemacht. Opulent wie üblich ist sein Leinwand-Epos "Lincoln“ ausgefallen, mit 12 Oscar-Nominierungen auch der Favorit der kommenden Preisverleihung. Vergessen ist, dass Hollywood-Großmeister Spielberg zuletzt mit "Gefährten“ ("War Horse“) über ein Pferdeleben im Ersten Weltkrieg arg in den Kitschtopf gegriffen hatte.

Die Kunst von "Lincoln“ liegt in der Bescheidung, selbst das Sachbuch "Team of Rivals: The Political Genius of Abraham Lincoln“ der Pulitzer-Preisträgerin Doris Kearns Goodwin, das dem Drehbuch von Tony Kushner zugrunde liegt, weiter zu reduzieren. Im Grund erzählt der Film lediglich einen Monat aus diesem Präsidentenleben, nämlich den Jänner des Jahres 1865, als Lincoln die - durchaus unsichere - Wiederwahl geschafft hat und der Sezessionskrieg so gut wie gewonnen ist, aber noch im Kongress den 13. Verfassungszusatz durchbringen will, um das Sklaverei-Verbot in der US-Verfassung festzuschreiben.

Den Mythos brechen und gleichzeitig perpetuieren

In diesen Jännertagen, erzählt der Film, versucht der Präsident beharrlich und trickreich, das störrische Repräsentantenhaus auf seine Seite zu ziehen. Denn dort ist die Gegnerschaft eingefleischt: Die Demokraten sind sowieso gegen die Abschaffung der Sklaverei, auch der gemäßigte Flügel von Lincolns Republikanern. Diese Gruppen muss der gewiefte Anwalt, Kriegsherr und Politiker gewinnen. Das thematisiert "Lincoln“, der den Mythos bricht, indem er diesen Präsidenten als einen verwundbaren Menschen zeigt, der an seine Sache glaubt. Und er perpetuiert den Mythos zugleich, indem er insinuiert, dies alles sei schicksalhaft in die Gründungsgeschichte der One Nation Under God hineingeflochten.

Niemals kommt bei Steven Spielberg das Pathos zu kurz und gleichzeitig gelingt es ihm, hier einmal mehr zu zeigen, dass das hehre nationale Narrativ dem politischen Kalkül, strategischer Chuzpe und jenem günstigen Augenblick geschuldet ist, der die Weltgeschichte weiterzutreiben imstande ist.

Es genügen die Tage Anfang 1865, dieses Drama einer Entscheidungsfindung, um die Spielberg’sche Ahnung von der Präsidentschaft Abraham Lincolns in eine Leinwand-Tat grandiosen Ausmaßes umzusetzen. Dass der Regisseur dabei wie in vielen seiner Filme (von "Schindlers Liste“ 1993 bis zu "Gefährten“ 2011) auf Kameramann Janusz Kami´nski setzen konnte, versteht sich fast von selbst.

Aus dem grandiosen Ensemble ragen vor allem zwei Gestalten heraus: Daniel Day-Lewis verleiht dem Protagonisten Tiefe und Abgründigkeit. Dieser Schauspieler macht aus dem Mythos eben die Person Abraham Lincoln, es menschelt im Wortsinn, und das Pathos bleibt der geschichtsträchtigen Stunde vorbehalten und nicht den Individuen darin. Kongeniales Schauspiel liefert auch Tommy Lee Jones als radikaler Abgeordneter Thaddeus Stevens ab, der unmittelbar vor der Erfüllung seines Lebenswerks, nämlich der Abschaffung der Sklaverei, steht und ebenso knapp vor dessen Scheitern. Erst das gewitzte Vorgehen dieses Kongress-Abgeordneten, so die Filmerzählung, bringt auch dem Präsidenten den heiß ersehnten politischen Erfolg.

Dass Spielberg noch die Ermordung des Protagonisten nachlegt, die sich keine drei Monate später ereignet, schadet dieser Verdichtung der Lincoln’schen Präsidentschaft zwar. Wahrscheinlich verlangt das nationale Pathos einfach doch nach diesem Ende. Anders ist es eigentlich nicht zu erklären.

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