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"Die Beichte" von Felix Mitterer: Im Wiener Semper Depot wurde das Hörspiel überzeugend auf die Bühne gestellt.

Im Semper Depot erwartet den Zuseher ein ungewöhnliches Bild: Anstelle der Besucherstühle stehen dort Kirchenbänke, ein Beichtstuhl, ein monströser Gekreuzigter und eine Muttergottesstatue. Das Wiener PopUp-Theater hat Felix Mitterers Die Beichte für die Bühne realisiert. Die Beichte war ursprünglich als Hörspiel konzipiert. Der ORF produzierte das Stück 2003, und es erhielt noch im gleichen Jahr mehrere renommierte Hörspielpreise.

Mitterer hat - ausgehend von den Aufdeckungen in kirchlich geführten Kinder- und Schülerheimen - ein komprimiertes Drama über sexuellen Missbrauch und seine Folgen verfasst. Die drei handelnden Personen vertreten zugleich auch verschiedene Generationen: Pater Eberhard ist der 80-jährige Ordensbruder und frühere Heimleiter (Ernst Stankovksi), Martin sein mittlerweile 50-jähriger Ex-Zögling (Gabriel Barylli) und Sebastian dessen 10-jähriger Sohn (Jim Holderied).

In zeitlichen Rückblenden voll dramaturgischer Spannung erzählt Mitterer die Geschichte von Martin, der als Knabe seine Eltern verloren hat und dessen unmittelbare Bezugsperson im Internat Pater Eberhard wurde. Eine engelsgleiche Stimme und die zarte Erscheinung des kleinen Martin attrahieren den Pater, der ihn fördert, zu seinem Lieblingsschüler erklärt und schließlich sexuell missbraucht. Das Geständnis des Buben macht - entgegen der allgemeinen Annahme - die Situation nicht besser. Der Pater wird versetzt und Martin zum Gespött der Mitschüler. Als erwachsener Mann ist er nicht in der Lage, seine Erfahrungen von Liebe auszudrücken, ohne selbst physisch übergriffig zu werden. Der Suizid erscheint ihm als einziger Ausweg aus der Spirale der Übertragungen.

Regisseur Michael Gampe ist eine berührende Inszenierung gelungen, ohne Anklage oder Schwarzweißmalerei. Seine Interpretation betont die fehlende Zärtlichkeit und Verbindlichkeit, die der Zölibat erwachsenen Männern aufzwingt. Pater Eberhards Verbrechen an dem kleinen Martin ist zugleich ein Verbrechen der bitteren Einsamkeit, in der er sich selbst befindet. Szenisch löst Gampe Martins Rückblenden mit einem klugen Trick: Barylli sitzt auf der Treppe und "leiht" dem kleinen Jim Holderied seine Stimme, während dieser mit Stankovski die Situationen spielt.

Schauspielerisch beeindruckt vor allem Stankovski, er überzeugt in seiner Selbstgerechtigkeit, die den Missbrauch als Zuneigungsgeste beschönigt. Am - gewissermaßen versöhnlichen - Ende singt Martin sein Lieblingslied Meerstern, ich dich grüße. Die Muttergottes ist aber nur eine Statue, reale Frauen und Mütter als Orientierungshilfen bleiben schmerzhafte Leerstellen.

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