Erzählen Tote über das Leben?

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"Körperwelten" ist eine Ausstellung über das Leben. Es ist legitim, dieses so darzustellen.

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"Körperwelten" ist eine Ausstellung über das Leben. Es ist legitim, dieses so darzustellen.

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In meiner Gymnasialzeit brachte die Theatertruppe meiner Schule Oscar Wildes "The Canterville Ghost" zur Aufführung. Als eines der Requisiten wurde aus dem Naturgeschichtekammerl das (echte) Skelett ausgeborgt, das eigentlich für den Biologieunterricht gedacht war. Niemand stellte sich damals die Frage, ob wir da mit dem Toten - und um die Knochen eines solchen handelte es sich ja - in angemessener Ehrfurcht umgingen.

In der derzeit im Wiener Schottenstift gezeigten Schau "Mythos Mensch" finden sich - neben vielerlei anatomischen Präparaten - auch eine Mumie aus Shanghai sowie eine Kopie des "Ötzi" (dessen Original bekanntlich in Bozen ausgestellt ist).

Beide hier genannten Beispiele haben sehr wohl mit der Frage zu tun, die im Falle der "Körperwelten"-Ausstellung zu Diskussionen führte: Dürfen Tote zur Schau gestellt werden?

Die Frage ist durch die - abendländische - Geschichte und durch die Realität der Gegenwart bereits beantwortet. Denn mit der Entwicklung von Medizin und Wissenschaft und mit der Aufklärung wurde auch die Auseinandersetzung mit dem Körper, dem "verweslichen" Teil des Menschen, selbstverständlich. Ob real oder als Abbildung in Büchern oder anderen Medien oder als Nachbildung: die "Anwesenheit" von Toten ist den Lebenden mehr vertraut als alle Rede von einer Verdrängung des Todes vermuten läßt.

Diese Anwesenheit ist alltäglich und von unverkrampftem Umgang (siehe obiges Beispiel des Skelett-"Requisits") oder von Interesse (siehe Beispiel der Mumien) geprägt. Jedenfalls ist dieser Umgang Allgemeingut und nicht auf wissenschaftliche Zirkel beschränkt: Es wäre unangemessen, ja schlicht unvorstellbar, dürfte etwa die Neugier über anatomische Zusammenhänge nur auf das "Fachinteresse" der Mediziner beschränkt bleiben.

Die Urfrage des Menschen, wer er ist, und woher er kommt, erstreckt sich in diesem Sinn auch auf das Geheimnis seines Körpers. Schon allein von daher ist es legitim, auch "populärwissenschaftlich" Zugänge zu ermöglichen. In Wien gibt es da das wenig bekannte "Museum für Geschichte der Medizin", das die weltgrößte anatomische Wachspräparatesammlung beherbergt. Dort finden sich ganze "Menschen" - im 18. Jahrhundert in Wachs modelliert - ohne Haut, mit Muskeln und Organen. Wer dieses Museum kennt, wird in ihm den Vorläufer der "Körperwelten" entdecken.

Warum die Ausstellung "Körperwelten" Diskussionen hervorruft, ist angesichts dieser europäischen Kulturgeschichte erstaunlich. Ebenso erstaunlich ist, welchen Ansturm an Besuchern die Schau zu bewältigen hat. Sensationsgier der Besucher oder PR-Gags der Ausstellungsmacher sind da wohl zu simple Erklärungen.

Vielleicht mag man Gunther von Hagens, dem Spiritus rector der "Körperwelten", Attitüden bei seiner Präsentation unterstellen. Die Kritik an der Ausstellung, dort würde der "Tod zum Spektakel" gemacht (so Ulrich Fischer, evangelischer Bischof von Baden/D), ist aber weit überzogen. Ein Besuch in der Ausstellung (Haben die Kritiker diese überhaupt gesehen?) zeigt, daß mitnichten eine Stimmung des "Spektakels" herrscht. Im Gegenteil: Man trifft dort Besucher, die vor allem am Menschen in seiner Faszination interessiert sind, und die ob des Dargestellten aus dem Staunen nicht herauskommen. Denn es gelingt der Schau, auch dem (medizinischen) Laien Einblicke in und Ahnungen von der Größe und dem Glanz der "Schöpfung Mensch" zu vermitteln. Keine Spur von Pietätlosigkeit - diese könnte zwar vom Publikum ausgehen. Aber dieses erweist sich von der Ausstellung in eine fast meditative Faszination geholt.

Es soll keinesfalls bestritten werden, daß Ehrfurcht vor dem Menschenleben und Ehrfurcht vor dem Menschentod notwendig sind. Die "Körperwelten" stellen dies nicht in Frage.

Die existentielle, tief religiöse Frage nach dem Umgang mit dem Tod wird hier aber viel weniger berührt, als die Kritik glauben macht. "Körperwelten" ist eine Ausstellung über das Leben. Es ist nur scheinbar paradox, daß es Tote sind, die davon erzählen.

Zum Thema Ausgestellte Körper Nach Publikumserfolgen in Japan und Deutschland bricht die Ausstellung "Körperwelten - Faszination des Echten" auch in Wien alle Rekorde. 380.000 Besucher zählte man bislang, und die Veranstalter sind sich sicher, daß "Körperwelten" die erfolgreichste jemals in Österreich präsentierte Ausstellung wird.

Zu sehen sind mehr als 200 echte menschliche Plastinate, sowohl ganze Körper wie einzelne Organe und transparente Körperscheiben. Die Plastination entwickelte der deutsche Anatom und Körperwelten-Chef Gunther von Hagens: Das Wasser menschlicher Gewebeflüssigkeit wird im toten Körper durch spezielle Kunststoffe ersetzt und dieser so haltbar gemacht.

Nicht das Verfahren, das in anatomischen Kreisen anerkannt ist, sondern die öffentliche Zurschaustellung plastinierter Körper ist umstritten und Gegenstand dieser Furche-Debatte. WM

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