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Nach drei Wochen Festivalbetrieb endete am vergangenen Wochenende der steirische herbst mit Milo Raus finaler Europatrilogie "Empire". Nach 130 szenischen Produktionen, die alle dem diesjährigen Leitcredo "Wir schaffen das. Über das Verschieben kultureller Kartografien" folgten, gelang endlich, nach einer höchst durchwachsenen Erfolgsbilanz, der große Abend. Die österreichische Erstaufführung, in Kooperation mit der Schaubühne Berlin und dem Züricher Theater Spektakel, erzählt von Krieg, Vertreibung, Migration und Rettung durch (Spiel)Kunst. Sie schafft Erinnerungsräume, sucht nach den kulturellen Wurzeln Europas, beschwört historische und aktuelle europäische Wenden und zeigt, dass es eine schuldlose Schuld Europas gibt.

Es ist ein kleinbürgerlicher Küchenwohnraum (Bühnenbild: Anton Lukas), in dem vier Schauspieler auf der Basis ihrer eigenen Biografie ein europäisches Panorama entwerfen. Da ist der Grieche Akillas Karazisis, der unter der Militärjunta in Thessaloniki lebte und als Schauspieler eine Art "Ästhetik des depressiven Minimalismus" erfand. Sodann die Jüdin Maia Morgenstern, deren Großeltern in den Arbeitslagern der Nazis gewesen waren und die selbst in der rumänischen Ceausesçu-Diktatur aufgewachsen war, und die Revolution erlebte. Sie fand ihre Rolle im Monumentalfilm "Der Blick des Odysseus" und wurde durch ihren Mutter-Gottes-Auftritt im Mel Gibson Film "The Passion of Christ" bekannt. Dann ist da noch der syrische Schauspieler Rami Khalaf, der nach Frankreich flüchtete. Und endlich der Kurde Ramo Ali, der jetzt in Deutschland lebt und "ein Kind erwartet". Dabei verzahnen sich Privates und Politisches derart kongenial, dass man ahnt, woher diese Kunst kommt: aus der Mitte der Verzweiflung. Alle vier sprechen in ihren Muttersprachen und werden dabei gefilmt. Ihre Gesichter sieht man auf einer großen Leinwand, die über dem Bühnenbild aufgespannt ist. Darunter läuft der deutsche Text zur Bühnenmusik von Eleni Karaindrou, die auch für Theo Angelopoulos gearbeitet hat. Überhaupt verströmt dieser Abend eine große filmische Atmosphäre, in deren "Sehfluss" man Landkarten und Familienfotos sieht, später auch etliche Fotos von syrischen Folteropfern, die kaum zu ertragen sind. Sie schreien, erschüttert wie eine Medea, ins Herz der europäischen Finsternis: "Wer schlug, wird geschlagen. / Wer traf, wird getroffen. / Fest klebt das Unheil /An der Menschen Geschlecht." Dieser Abend ist so uneitel in seinen Wendungen, so ehrlich in seinem Schmerz, so verletzlich in seiner Menschlichkeit, dass man ihn als Zuschauer nur sehenden Auges anhören kann. Mehr an Erlösung dürfen wir im Theater nicht erwarten.

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