„Freud ist mir näher als der Beichtstuhl“

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Ein ungewohntes Programm bietet das Kunsthaus Bregenz seinen Besuchern: Der junge Künstler Markus Schinwald bespielt das Haus furios und mit Qualität.

Mit seiner aktuellen Ausstellung leistet sich das Kunsthaus Bregenz einen programmatischen „Ausreißer“. Zu entdecken gibt es den 1973 in Salzburg geborenen Markus Schinwald – einen Künstler von durchaus internationalem Format.

Für diese bislang größte Ausstellung von Schinwald zieht das Haus am Bodensee alle Register. Von der Haustechnik über regionale Handwerker und Spezialisten des Künstlers bis hin zu Jo Molitoris, dem Kameramann von U2 und Red Hot Chili Peppers, arbeitete ein großes Team an der Präsentation. Markus Schinwald selbst trägt einen ausgebeulten schwarzen Anzug und silberfarbene Turnschuhe. Fragen beantwortet er mit Understatement, cool und professionell. Das Rebellische seiner Arbeit verbindet er mit einem sympathischen Lächeln.

Bühnenstudios für Sitcoms

Der in Wien und Los Angeles lebende Künstler hat die drei Stockwerke des Kunsthauses in Bühnenstudios für sogenannte „Sitcoms“ verwandelt. Schinwald liebt diese Form der US-amerikanischen Unterhaltungskomödie, bei der alltägliche Situationen komisch durchgespielt werden und dieses signifikante Konserven-Lachen ertönt, das dem Publikum signalisiert, dass eben wieder eine Pointe passiert ist.

Im Kunsthaus gibt es im ersten Stockwerk eine guckkastenartige Bühne, im zweiten Stock herrscht eine durchlässigere Bühnenarchitektur vor, und im dritten Stock sind drehbare Raumelemente zentral, die an Turngeräte erinnern. Dabei ist die Multifunktionalität dieser Bühne, die eigentlich eine große Installation ist, sehr augenfällig: Sie ist bürgerliches Wohnzimmer, begehbare Skulptur und Ausstellung von Porträts aus dem 19. Jahrhundert, die der Künstler subtil manipuliert – sodass im Sinne Sigmund Freuds Neurosen visualisiert werden. Im Gespräch gesteht der Künstler auch unumwunden ein: „Freud ist mir näher als der Beichtstuhl.“

Ins Auge sticht in diesem Zusammenhang das Bildnis einer madonnenhaften Dame, die ein Kopftuch trägt, sentimental nach oben blickt und über Stirn, Nase und Mund zwei seltsame Schinwald’sche Drähte trägt.

In diesen Tagen kommt, ähnlich multifunktional wie die Schinwald’sche Bühnen-Installation, ein Handy von Google auf den europäischen Markt, das Taxilotse, Reiseführer, Navigator und natürlich mobiles Internet in einem ist …

Ähnlichkeit mit religiösen Ritualen

An drei Drehterminen werden Laienschauspieler und Darsteller, die analog zu Shows wie „Starmania“ gecastet wurden, diese drei Bühnen bespielen. Das Ergebnis wird dann im jeweiligen Stockwerk auf Flatscreens übertragen. Dabei wird Schinwald Verfremdungseffekte setzen, wie sie von Bertolt Brecht oder Jean-Luc Godard praktiziert wurden und auch in der klassischen Sitcom eingesetzt werden: ein auf einem Schrank sitzender Schauspieler, zwei Verwirrung stiftende, eineiige Zwillinge und Turner, die auf eigenartigem Gerät seltsame Bewegungen ausführen. Diese ritualisierten Handlungen rücken die Arbeit von Markus Schinwald in die Nähe von religiösen Ritualen wie etwa der Feier der Eucharistie.

Markus Schinwald darf auf dem großen Klavier des Kunsthauses Bregenz spielen. Er macht es furios und qualitätsvoll.

Markus Schinwald – Vanishing Lessons

Kunsthaus Bregenz,

Karl-Tizian-Platz, 6900 Bregenz

bis 13. April 2009, Di–So 10–18, Do 10–21 Uhr

Katalog hg. v. Kunsthaus Bregenz, 128 S., E 42,-

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