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"Arsen und Spitzenhäubchen" als intelligentes Schauspielertheater im Wiener Akademietheater.

Der Vorhang geht auf und eine gutbürgerliche Stube irritiert das geschulte Besucherauge. Da strahlt von der Bühne des Akademietheaters (Bettina Meyer) ein properes Wohnzimmer mit allen Häuslichkeitsdetails, als wäre man versehentlich in den Kammerspielen gelandet. Aber wer nun banales Lachtheater erwartet, hat sich getäuscht.

Die Schweizer Regisseurin Barbara Frey hat eine präzise Arbeit geliefert, die wieder einmal beweist, dass unterhaltsames Schauspielertheater auch intelligent sein kann. Joseph Kesselrings skurrile Komödie "Arsen und Spitzenhäubchen" (1941) gaukelt die friedliche Idylle eines christlichen Damenhaushalts vor, den ein vertrauenswürdiges Schwesternpaar führt, das allein stehende Herren in Untermiete nimmt. Allerdings um diese mit arsenangereichtem Holunderwein zu erlösen.

Kirsten Dene ist als trockene Anführerin Abby ein bizarrer Gutmensch mit ein paar "kleinen Geheimnissen", Libgart Schwarz spielt ihre Schwester Martha als devotes Mauerblümchen mit gurrender Lust. Die Klamotte kommt in Gang, als Neffe Mortimer (Michael Maertens) in der Sitzbank den ermordeten Mr. Hoskins (dessen Name zum Running Gag wird) entdeckt. Nach kurzer Erklärung des Sachverhalts gehen die beiden Damen zum Alltagsgeschäft über - "so Mortimer, jetzt weißt du alles, und vergiss es gleich wieder".

Frey hat sich darauf konzentriert, den allgegenwärtigen Wahnsinn - jenen der Weltpolitik wie jenen der idyllisch anmutenden Kleinfamilien - sichtbar zu machen. Wir haben alle unsere Leichen im Keller, und die, die es ganz besonders mit der Moral halten, sind die Schlimmsten.

Da ist der schizophrene Neffe Teddy (Urs Hefti) durchaus willkommener Mitbewohner, der sich alternierend für die amerikanischen Präsidenten Theodor Roosevelt, Richard Nixon, George Bush oder Ronald Reagan hält. Mit lautem Trompetengetöse kündigt er den Bau des Panamakanals an, der im Keller der Tanten als Grabstätte fungiert. Bei Frey sind Heftis Auftritte keine Schenkelklopfen provozierende Einlagen, sondern bizarre Momente, die den Blick auf eine Welt freilegen, in der Fiktion und Realität nicht mehr zu trennen sind.

"Arsen und Spitzenhäubchen" ist aber auch allein deshalb sehenswert, weil es wieder einmal erstklassiges Schauspielertheater zeigt. An der Spitze dieser homogenen Ensemble-Leistung steht Michael Maertens. Er lotet stets die Grenzen der Figur aus und behält sein Spiel unter Kontrolle, als könnte er noch zahllose Facetten dieses liebenswerten theaterhassenden Kritikers mit Kunstglatze zeigen. Mit Maria Happel (als seine Verlobte Elaine) entwickelt er ein Durchschnittspaar mit harmlosen Unanständigkeiten. Reizend beschämt hebt Happel ihren Rock bis zum Strumpfhalter, in der Hoffnung auf ein wenig Sinnlichkeit. Das dritte kongeniale Paar sind der Serienmörder Jonathan Brewster (Peter Simonischek in Boris Karloff-Maske) mit dem spiegeltrinkenden Hochstapler Dr. Einstein (Johann Adam Oest).

Der aufgeschnappte Kommentar einer Zuschauerin: "Es war ja sehr vergnüglich, aber gehört das ins Akademietheater?" lässt sich nur mit der Gegenfrage beantworten: "Warum denn nicht?"

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