Werbung
Werbung
Werbung

Aharon Appelfelds Roman "Bis der Tag anbricht" erzählt jüdisches Martyrium.

Es ist eine fatale Falle, in die Blanka als 18-jährige tappt. Die hochbegabte Schülerin und einzige Tochter heiß geliebter jüdischer Eltern verliebt sich in ihren ehemaligen Mitschüler Adolf. Mit der Heirat, für die sie sich taufen lässt, beginnt ihr Martyrium. Es ist das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts irgendwo in Österreich-Ungarn, in dem der 1932 in Czernowitz geborene, 1946 nach Palästina ausgewanderte Aharon Appelfeld seinen Roman "Bis der Tag anbricht" ansiedelt.

Im Privaten repräsentieren Blanka und Adolf einen Kampf, in dem der Schwächere von vornherein feststeht und der sich draußen im Politischen und Gesellschaftlichen fortsetzt. Es ist ein erschreckend aggressiver Angriffskampf, aufgebaut auf dumpfem Ressentiment, Hass und den brutalen Rachereflexen eines Zukurzgekommenen.

Vernichtung geschworen

Denn Adolf, der das Gymnasium wegen schlechter Leistungen verlassen musste und seither in einer Molkerei arbeitet, hat den verantwortlichen jüdischen Lehrern Vernichtung geschworen. Seinen Kreuzzug vollzieht er stattdessen zuhause an seiner eigenen Frau. "Gebeugt vor Angst" verbringt Blanka ihre Tage. Die in der Gymnasialzeit für ihre glänzenden Noten Bewunderte, die in einer liebevollen, aufmerksamen, in einem gespaltenen Verhältnis zur eigenen jüdischen Herkunft lebenden Familie aufgewachsen ist, wird in die Rolle der Dienstmagd, Geprügelten, Beschimpften, Vergewaltigten und Gedemütigten gezwungen. "Ich will, dass du eine Frau bist und keine Jüdin", sagt Adolf zu Blanka oder "Man muss dir diese ganze Schwachheit und die schlechten Eigenschaften austreiben, die du von deinen Eltern geerbt hast" und drischt sie mit dem Gürtel blutig.

Peiniger Adolf

Aharon Appelfeld hat seiner Romanfigur den Namen Adolf gegeben und macht diesen zum Prototyp. Tatsächlich sind er und seine Familie bestürzend repräsentativ für ein von jeglichem Selbstzweifel unangekränkeltes, schwarz-weiß gezeichnetes Weltbild, das sich zielsicher seinen Sündenbock sucht und an ihm alle Aggression und Frustration ungebremst auslebt. Wie Appelfeld das beschreibt, macht Angst. Da ist nicht nur der körperliche Missbrauch, da ist auch die unerträglich freche Kaltschnäuzigkeit, mit der Adolfs gebärfreudige Schwestern Blanka empfehlen, endlich ihren Namen auf Hilde zu ändern ("Man muss seine Makel ja nicht offen zeigen."), oder die brutalen antisemitischen Einschüchterungstiraden, mit denen Adolf die Leiterin eines jüdischen Altersheims nötigt, Blankas 53-jährigen Vater aufzunehmen, obwohl kein Platz frei ist.

Selbstverleugnung

Blanka und ihre Umgebung wiederum repräsentieren ein völlig verunsichertes Judentum, dem alle Assimilationsversuche keine Erleichterung gebracht haben und das sich bis auf wenige Ausnahmen zwischen Selbstverleugnung und Selbstausbeutung, zwischen Selbsthass und Verängstigung bewegt. Weit im Hintergrund von Appelfelds dramatischem Buch spielen der jüdische und der christliche Glaube eine ganz wesentliche Rolle als Bezugspunkte, von denen Romanfiguren sich weg oder zu denen sie sich hin bewegen, deren Regeln sie ad absurdum führen oder in denen sie sich finden. Blanka selbst sehnt sich nach der freudvollen Atmosphäre des ostjüdischen Stetl-Chassidismus' und räumt mit der Konvertitin in sich auf denkbar zerstörerische Weise auf - ein Ausdruck der fortgeschrittenen Zerrüttung ihrer Seele, die sich irgendwann nur mehr durch radikale Gewaltakte zu helfen weiß.

Lebenszerstörung

Appelfelds minutiöse Schilderung der Zerstörung von Blankas Leben zerreißt das Herz gerade deswegen, weil sein Ton so bar jeder Dramatik ist. Es ist das lakonische Bild eines Frauenschicksals, das nicht nur ein jüdisches ist, dadurch aber noch eine zusätzliche Dimension bekommt. Appelfeld folgt Blankas Geschichte aus der Perspektive ihrer Flucht, während der sie für wenige Wochen gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Otto eine Verschnaufpause erlebt, die ein grausames Schicksal nur dazu zu nützen scheint, um sich erneut zu Sturmwolken aufzutürmen.

Bis der Tag anbricht

Roman von Aharon Appelfeld

Aus dem Hebr. von Anne Birkenhauer

Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2006

255 Seiten, geb., e 18,30

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung