Gemeinsame Geheimnisse

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"Harper Regan", das Festspiel-Stück des britischen Dramatikers Simon Stephens: ein glanzloses Ende des Salzburger Schauspielprogramms.

Harper Regan, so lautet der ungewöhnliche Name von Simon Stephens' Hauptfigur, die auch den Titel seines jüngsten Stücks gibt. "Harper Regan" ist die weibliche Antwort auf Stephens' letztes Drama "Motortown". Stephens' Themen sind Weggehen und Heimkehren sowie die Suche nach - moralischen - Antworten. Als letzte Premiere der Salzburger Festspiele ging nun die deutschsprachige Erstaufführung als Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg im Landestheater Salzburg über die Bühne.

Weggehen und Heimkehr

Die Protagonistin Harper lebt mit ihrem Mann Seth und der 17-jährigen Tochter Sarah im Londoner Vorort Uxbridge. Von ihrem Fenster aus kann man den Flughafen Heathrow sehen. Wie Stockport, der Schauplatz von "Motortown", ist Uxbridge einer dieser vergessenen Orte, eine Durchfahrtsstadt, in dem man kein Zuhause, sondern nur einen Zwischenhalt hat. Die Familie hat einen Grund, hier zu leben und ein gemeinsames Geheimnis: Bei Harpers Mann wurden pornografische Fotos von Kindern gefunden, Seth wurde als Sexualstraftäter registriert und die Familie zog nach Uxbridge, wo Harper eine gutbezahlte Stelle fand.

Als nun ihr Vater im Sterben liegt, beginnen bisherige Gewissheiten zu bröckeln - wie ein imaginäres Mauerwerk, das Stephens metaphorisch einsetzt: Harper wird beinahe von einem Stück Mauer erschlagen. Doch über ihr ist nichts als der nackte Himmel, den Bühnenbildner Jeremy Herbert mittels eines schräg gestellten, riesigen Spiegels vervielfacht. Harper entschließt sich - trotz Kündigungsdrohung ihres Chefs und ohne ihre Familie zu informieren - den Vater im Krankenhaus zu besuchen. Sie kommt zu spät. Im Gespräch mit einer Krankenschwester brechen in Harper Ängste und Gewissheiten zugleich hervor: Nur sie selbst kann entscheiden, wie sie ihr Leben weiterführen will. Gott ist als moralische Instanz nicht greifbar, ihre persönlichen Bedürfnisse und Skepsis dem bisherigen Leben gegenüber sehr wohl.

Wie im antiken Drama geht Stephens von der göttlichen Ordnung (oder einer wohlanständigen Gesellschaft?) und der Einheit der Zeit aus: In 48 Stunden wird Harpers Konflikt um ein aufrichtiges Leben ausgetragen. Sie konfrontiert sich mit eigenen sexuellen und moralischen Widersprüchen, lässt sich auf schnellen Sex mit einem Fremden ein, bestiehlt einen koksenden Journalisten in einer Bar und trifft nach Jahren wieder ihre Mutter. Geläutert in ihrer Liebe, verunsichert in ihrem Glauben und mit der Gewissheit, dass unbekannte Abgründe unter der vermeintlichen Normalität brodeln, kehrt sie zu ihrer Familie zurück.

Simon Stephens hat ein kluges, fein gezeichnetes Stück geliefert, das aktuelle gesellschaftspolitische Fragen mit extremen privaten Konfliktsituationen verknüpft. Doch in Ramin Grays Inszenierung wirken Stephens' unspektakuläre Szenenfolgen leider nur banal, ja direkt belanglos. Er zeigt seine Harper als eine von uns: Zu Beginn steht sie an der Rampe und blickt ins Publikum, das Saallicht ist angedreht; erst als sie den Vorhang hebt und den Bühnenraum eröffnet, beginnt Grays "Zeigetheater". Die Schauspieler bleiben seltsam unberührt, als würden sie Stephens' Figuren nicht darstellen, sondern die Story szenisch nacherzählen. Sie kleiden sich auf der Bühne um, die Bühnenarbeiter werden Teil der Vorzeigestudie.

Steriles "Zeigetheater"

Vor allem Filmstar Martina Gedeck als Harper bleibt farblos und vermittelt kaum etwas von der Entwicklung dieser Figur. Die anderen Darsteller sind in mehreren Rollen zu sehen: Manfred Zapatka etwa als zynisch-schmieriger Vorgesetzter, als Stiefvater und Lover, Aljoscha Zinflou als polenfeindlicher Schwarzer Tobias Rich und Lehrling, Samuel Weiß als Ehemann Seth und Journalist Mickey oder Marie Leuenberger als Tochter Sarah und Krankenschwester. Sie gibt ihren Figuren Form und bringt als einzige Leben in diese unrhythmische Inszenierung, bei der man das Papier noch rascheln hört. Ebenso meint man Stephens' Originaldialoge zu vernehmen, die in Barbara Christs misslungener Übersetzung recht eigenartig klingen.

Damit ist auch Thomas Oberenders zweite Saison als Schauspielchef der Salzburger Festspiele trotz eines klugen Konzeptes glanzlos vorübergezogen.

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