Gerhört ACTA schon ad acta gelegt?

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Das Abkommen ACTA dient vorrangig der Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Es sieht eine Überwachung vor, die der Gerichtshof der EU für unzulässig erachten könnte.

Schätzungen der Piratenpartei Österreichs zufolge protestierten allein am 11. Februar dieses Jahres in über 250 Städten in ganz Europa zwischen 150.000 und 200.000 vorwiegend jüngere Personen gegen den Abschluss von ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), dem Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. In Österreich alleine sollen sich über 10.000 Menschen diesen Protesten angeschlossen haben. Der 25. Februar wurde von ACTA-Gegnern inzwischen zum zweiten europaweiten Anti-ACTA-Aktionstag ausgerufen.

Was lässt aber junge Menschen massenhaft auf die Straße gehen, wo es sich beim Objekt ihres Protestes doch vordringlich um ein internationales Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums, ein doch mehr als schützenswertes Grundrecht der Urheber geistiger Werke, wie Komponisten, Autoren, Filmemacher etc., handelt?

Es sind die negativen Reflexe, die die junge Generation aus diesem Abkommen auf ihre sozialen Netzwerke, wie Facebook, Twitter etc., befürchtet, die sie so handeln lässt. Sie erwartet sich davon nämlich entweder eine Zensurierung ihrer Kommunikation im Internet oder zumindest eine Reihe von mehr oder weniger willkürlich verhängten Filtern und Sperren nicht genehmer Inhalte derselben. Mit anderen Worten, einen Rückfall in vordigitale Zeiten des Urheberrechts. Vor allem aber sieht sie durch ACTA ihr sowohl durch Artikel 10 EMRK als auch durch Artikel 11 der EU-Grundrechtecharta geschütztes Recht auf freie Meinungsäußerung gefährdet.

Diese Vorgänge lassen es angezeigt erscheinen, einen Blick auf ACTA zu werfen, um festzustellen, ob diese Befürchtungen zu Recht gehegt werden oder nicht.

Das ACTA besteht aus 45 Artikeln und dient vorrangig der Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Es soll insbesondere den Inhabern von Immaterialgüterrechten in der EU zugutekommen, die als weltweit agierende Unternehmer derzeit im Ausland systematischen und vielfältigen Verletzungen ihrer Urheberrechte, Marken, Patente, Muster und Modelle sowie geografischen Herkunftsbezeichnungen ausgesetzt sind.

Kompetenziell fällt das ACTA als Abkommen über die Handelsaspekte des geistigen Eigentums gemäß Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) großteils unter die ausschließliche Kompetenz der EU (Artikel 3 Absatz 1 AEUV), berührt aber mit seinen Bestimmungen über die strafrechtliche Durchsetzung den Bereich geteilter Zuständigkeit zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten (Artikel 2 Absatz 2 AEUV). Dementsprechend ist das ACTA sowohl von der EU als auch von allen ihren Mitgliedstaaten abzuschließen.

Das ACTA stellt also ein sogenanntes "gemischtes“ Abkommen dar, das die EU samt ihren Mitgliedstaaten im Rahmen des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) zu dessen Ergänzung mit einer Reihe von Drittstaaten abschließen will. Es wurde auf Anregung Japans und der USA von der EU, ihren 27 Mitgliedstaaten sowie von folgenden zehn weiteren Staaten ausgehandelt: Australien, Kanada, Japan, der Republik Korea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, der Republik Singapur, der Schweiz und den USA.

Europäisches Parlament berät

Die Vertragsverhandlungen wurden am 3. Juni 2008 aufgenommen und endeten nach elfVerhandlungsrunden am 25. November 2010 mit der Paraphierung des Vertragstextes.

Unterzeichnet wurde das ACTA am 26. Jänner 2012 neben der EU aber nur von 22 ihrer 27 Mitgliedstaaten, ein Umstand, der bereits auf einen gewissen Widerstand hindeutete.

In der Folge wurde nach anhaltenden Protesten der Bevölkerung die bereits eingeleitete Ratifizierung des Abkommens in Bulgarien, Lettland, Polen, der Slowakei und Tschechien gestoppt. Österreich, ebenso wie Slowenien, unterzeichnete das Abkommen, sistierte aber danach seine Ratifizierung, während Deutschland beschlossen hat, das Abkommen vorläufig nicht zu unterzeichnen.

Das Europäische Parlament, das gemäß Artikel 218 Absatz 6 lit. a) AEUV dem Abschluss von ACTA ebenfalls zustimmen muss, hatte am 24. November 2010 noch eine positive Entschließung zu ACTA erlassen. Ob es diesen Standpunkt in den Beratungen, die am kommenden 27. Februar beginnen, beibehalten wird, ist aber zweifelhaft, da sich bereits massiver Widerstand regt.

Hauptsächlichster Kritikpunkt ist neben der Errichtung eines nicht-legitimierten "ACTA-Komitees“ (Artikel 36 ACTA) mit weitreichenden Überwachungs- und Lenkungsaufgaben vor allem die geforderte "Kooperation“ zwischen den Inhabern geistiger Eigentumsrechte und deren Übermittlern, wie z. B. Internetprovidern, Zahlungsdienstleistern etc., die letztere sehr leicht dazu verpflichten könnte, den Internetverkehr ihrer Kunden von vornherein überwachen zu müssen. Gerade diese Befürchtung wird aber durch zwei rezente Urteile des Gerichtshofs der EU stark relativiert.

Unter Berufung auf sein einschlägiges Urteil in der Causa Scarlet Extended SA/SABAM (Rechtssache C-70/10) vom 24. November 2011 erließ der Gerichtshof vor wenigen Tagen am 16. Februar in der Rechtssache SABAM/Netlog NV (C-360/10) sein bereits mit Spannung erwartetes Urteil in der Frage der Verhängung einer solchen Überwachungspflicht. Der Gerichtshof verneinte darin die Zulässigkeit einer von einem nationalen Gericht erlassenen Anordnung, einem Anbieter von Internetzugangsdiensten die Einrichtung eines Systems der Filterung aufzuerlegen, um einem unzulässigen Herunterladen von Dateien vorzubeugen. Eine solche allgemeine Überwachungspflicht auf der Basis eines umfassenden präventiven Filtersystems ist deswegen verboten, da sie das angemessene Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Rechts am geistigen Eigentum, den Inhaber von Urheberrechten genießen, und dem Schutz der unternehmerischen Freiheit, der Wirtschaftsteilnehmern wie den Hosting-Anbietern nach Artikel 16 der EU-Grundrechtecharta zukommt, verletzt.

* Der Autor, DDDr. Waldemar Hummer, ist emeritierter Ordinarius für Europarecht

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