Geschichte, von unten geschrieben

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Sie heißen 10 Octobre nach dem Auftakt des Unabhängigkeitskrieges, Playa, Guanabacoa oder einfach Centro Habana. All die Viertel der kubanischen Hauptstadt seien verschieden, schwärmt die Lebensgefährtin eines der Protagonisten von "Winter in Havanna". Ihr Satz stößt im Dokumentarfilm des Österreichers Walter Größbauer ("Sommer in Wien") nicht nur einen bestätigenden Mini-Exkurs der Bilder an. Mehr noch ist er ein Schlüssel, den urbanen Fleckerlteppich zu begreifen, der sich vor einem ausbreitet, und in dem das westliche Auge zuerst Gemeinsamkeiten erspäht: ein Alltagstempo, dem jede Aggression fehlt, aber genauso Verfall und Abgewohntheit, Hauswie Nutztiere. Und endlose Findigkeit, die Dinge irgendwie am Laufen zu halten.

Gebannt erfasst die Kamera den Fetzenreifen, auf dem der Karren eines der Händler des Floristen Frank rollt, oder die aufgerissene Polsterung im Auto seines Lieferanten. Der Mann erzählt von seinem Geschäft, seinem Lebensweg, dem stolzen Moment, als er dem ersten kubanischen Kosmonauten ganz nahe war. Zeigt seinen gepflegten Privatraum. Wie die Leute schlafen, ist Größbauer so wichtig wie verbindend. Auch wie der Künstler Maisel wohnt, der großformatige Kinderporträts auf Wände seines Bezirks zeichnet, wenn er nicht gerade Kinder mit Down-Syndrom und anderen Beeinträchtigungen im Malen unterrichtet.

"Viva la Revolucion" blendet "Winter in Havanna" am Ende ein. Wenn der zweite Teil einer Jahreszeiten-Tetralogie Partei nimmt, dann ist es aber nicht politisch, sondern für die Menschen darin. Für den Travestiekünstler Yanolis, der sich als Homosexueller kaum irgendwo sicher fühlen kann. Als comichaft überhöhte Blankita persifliert er Anmut und Glamour; niemand auf Kuba verkauft jedoch Perücken.

Der Mangel und das Erbe der sogenannten Sonderperiode, der Not nach dem Niedergang der Sowjetunion, dringen aus den Erzählungen der Menschen, nicht aus dem Film, der selbst nichts ergänzt oder erklärt. Vielmehr schreibt er Geschichte von unten, des Einzelnen. "Es gibt Menschen, die alles haben, alle Möglichkeiten, alle Mittel, und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen", heißt es darin. In der Umkehr geht es dem Film genau darum: die wahren Werte im Leben.

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