7092054-1994_33_01.jpg
Digital In Arbeit

Das Attentat zielte tief in das jüdische Erbe

19451960198020002020

50 Jahre nach dem Holokaust: der Anschlag aufs jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires.

19451960198020002020

50 Jahre nach dem Holokaust: der Anschlag aufs jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires.

Werbung
Werbung
Werbung

Als ein Angriff, gezielt tief in jüdisches Erbe und nicht nur auf Leben und Sachwerte in und um das Gemeindezentrum, erweist sich jetzt die von einer Lastwagen- Bombe ausgelöste Explosion vor einem Monat in Buenos Aires. Das Zentrum für die 300.000 in Argentinien lebenden Juden - die stärkste jüdische Gemeinde in Lateinamerika nach den USA — beherbergte eine der wichtigsten jüdischen Bibliotheken: hierher wurden im Zweiten Weltkrieg auf Geheimrouten jiddische und hebräische Schriften und Bücher gebracht, die Nazi-Brandschatzungen der Synagogen entgangen waren.

Ein erster Überblick bei den Aufräumungsarbeiten zeigt, daß etwa die Hälfte dieser Bestände nicht mehr wiederherzustellen sind. Unersetzbar sind zwei Thora-Rollen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, wie auch etwa 200 Bücher, von denen es je nur noch ein Exemplar gab - einige von ihnen erste Schriftdokumente der jiddischen Sprache aus dem 17. Jahrhundert.

Das Archiv des Gemeindezentrums hatte aber auch eminente Bedeutung für die Geschichte Argentiniens: dort lagen die Daten zur jüdischen Einwanderung. Unter den Verlusten vermutet man auch Belege zur dunklen Seite jüdischen Lebens in Argentinien: über den Kampf der jüdischen Gemeinde gegen das jüdische Verbrechersyndikat Zwi Migdai, das verarmte auswanderungswillige jüdische und andere Frauen (eine Quelle des argentinischen Antisemitismus) aus Europa in die Prostitution nach Argentinien und Brasilien zwang. Der argentinische Antisemitismus ist zwar nicht verschwunden, aber ein Attentat wie das vom Juli ist schwer vorstellbar. Auch finden in Argentinien unter getauchte Nazis längst nicht mehr den stillschweigenden Schutz der Nachkriegszeit - was nicht heißt, daß Antisemiten und Nazis nicht doch beim Attentat mitgemacht haben könnten.

Jetzt verdichtet sich der Verdacht, daß am jüdischen Gemeindezentrum ausländische Konflikte blutig ausgetragen werden; Haftbefehle gegen Iraner (im Nah Verhältnis zu ihrer Botschaft in Buenos Aires) wurden erlassen — allerdings erst, nachdem sie bereits ausgereist waren.

Samuel Rollansky, der 92jährige Gründer der jüdischen Bibliothek von Buenos Aires: „Unsere Geschichte ist verbrannt, obwohl wir nicht einmal einen Krieg haben. Wir sind Zeugen eines Inquisitionsaktes.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung