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DIE EROBERUNG VON PERU

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„Es ist alles eitel;

es ist alles ganz eitel!”

Franz Pizarro, später Don Franz Pizarro, schließlich „Der Marquis” genannt, auch „Der Große Marquis”, ist zwischen 1471 und 1478 in Truxillo als der illegitime Sohn eines Kapitän Gonzalo Pizarro und einer gewissen Franziska Gonzales geboren worden, die ihn aber wie es heißt, nichts weiter lernen ließ als Schweine zu hüten, und auch das schlecht, denn wegen eines ihm entlaufenen Schweines, das er nicht wieder finden konnte, entwich er ihr aus Angst vor Strafe und wurde Soldat. Dieser Pizarro ist derselbe, der später den als Gast zu ihm nach Caxamalca kommenden Inka Atabuaipa auf die Art gefangennahm, daß er ihn an dessen langem Stirnhaar aus der königlichen Sänfte riß, während gleichzeitig seine hundertachtzig Spanier über das ganze indianische Heer herfielen und an die viertausend, davon Edle und Unedle, erstachen, gleich viele verletzten und dreitausend weitere einfingen, bei welcher ganzen Affäre von den Europäern kein einziger verwundet wurde als Pizarro selbst, nämlich im Gedränge durch einen seiner eigenen Fußsoldaten. Als eine Auslöse für Atahualpa empfing der Große Marquis sodann soviel Gold, wie bis zu einem, bei ausgestrecktem Arm, mit der Degenspitze in die Wand eingeritzten Strich ein Zimmer füllte, das sechzehn Fuß breit und zweiundzwanzig Fuß tief war; allein er lieferte den Inka aiej dann nicht aus, sondern er ließ ihn erwürgen und warf mit einigen Hunderten verdächtiger Individuen, denen allen der Titel von Caballeros de la Espada Borata versprochen worden war, ganz Peru au Boden. Am Sonntag, dem 26. Juni 1541, ward der Große Marquis schließlich im vizeköniglichen Palast in seiner Stadt Lima von dem Sohn und den früheren Anhängern seines gewesenen Verbündeten Diego de Almaigro, den er hatte hinrichten lassen, mit einem Degenstoß in den Hals umgebracbt, nachdem er erst noch vier seiner Feinde erstochen hatte.

Stünde es nicht in den Evangelien, daß die Schweine, in die Jesus die ausgetriebenen Teufel einst hatte fahren lassen, sich dann sofort von einem hohen Felsen ins Meer gestürzt hätten, und wäre es sohin nicht sicher, daß sie zu Pizarros Zeit, schon ertrunken gewesen sein müssen, so bliebe es äußer Zweifel, daß dasjenige, das dem Pizarro entwichen war, ein solches dämonenibesessenes oder mindestens ein Nachfahre, jener berühmten, von Gott seihst verfluchten Schweine gewesen sei. Höchst erstaunlich , aber bleiben dennoch und fast wahllos ergriffen scheinen die Mittel der göttlichen Vorsehung, wenn letzten Endes von einem solchen unreinen, einem Bastard entwischten Tier Tod und Leben eines Inkas abgehangen haben, der doch ein Sahn der Sonne und dessen triumphale Macht so groß war, daß ein aus seinem kaiserlichen Stirnband gezogener karmesinfarbener Faden demjenigen, der ihn empfing, souveräne Gewalt übertrug; wenn Jahre der Angst, schlaflose Nächte und der Untergang der Erlauchtesten von Peru das Ergebnis der Flucht dieses einen Tieres gewesen sind, ja die ganze Vernichtung jenes indianischen Imperiums, das so völlig ausgelöscht und wie von einem Bagelschüaig in den Boden bin- eimgedraschen worden ist, daß dort kein Gras mehr wächst. Bei all dem phantastischen Glück und allen Unwahrscheinlichkeiten, unter deren Schutz die Hinwerfung von Peru sich vollzog und an die man sich, unverschämt wie man war, völlig gewöhnte, steht es noch aus, zu fragen, warum nicht, von anderer Hand, aus den dort in kaum Turmhohe über die Hochfläche ziehenden Gewittern so viele Blitze nach und nach in die geharnischten Spanier eingeschlagen hätten, daß sie schließlich aufgerieben wären. Mit der bloßen Heranführung des Schreckens, der von den Pferden, den rauschenden Rüstungen und dem auffliegenden Pulver der Konquistadoren ausging, und mit der Furcht vor ihrem gottähnlichen Äußeren allein, scheint nämlich das Übermaß von teuflischem Glück, mit dem ein nichts weiter als tollkühner Auswurf der Alten Welt auf einmal gesegnet worden war, durchaus nicht genug begründet. Es kommt, scheint es, vielmehr darauf an, restlos ednzusehen, wie eine wundervolle Konstellation der ewigen Sterne des Himmels, ein Vorbereitetsein der Welt sondergleichen zu nichts anderem gut gewesen sei, als den Sohn der Sonne zu entthronen, einen entlaufenen Schweinehirten zu erheben und alle Maßstäbe zu verwerfen. War es möglich, daß eine solche Anhäufung von Pracht, Ruhm und Erlauchtheit, wie Peru es gewesen ist, auf so infame Art durch einen entflohenen Hirten vernichtet wurde, so scheint das alles eben viel unwirklicher, viel falscher in seiner Anmaßung überhaupt viel wesenloser gewesen zu sein als das entwischte ganz gemeine Tier, dem jenes Reich, durch unzählige Verknüpfungen der Ereignisse, am Ende zum Opfer fiel und das sich, völlig uninteressiert für die aus seiner Flucht entstandenen Konsequenzen, inzwischen in Spanien gesuhlt hatte und schließlich geschlachtet worden war. Es ist alles eitel, sagt der Prediger, alles ganz eitel.

Immerhin: Unter dem peruanischem Schutt existiert noch eine Anzahl porträtähnlicher, in diesen unseren Tagen ausgegrabener Köpfe weiter, die, ohne dazugehörigen Hals und ohne Schultern, eigentümlich isoliert wirken und von denen einer, ich glaube in einer der Sammlungen in Cuzco, den Anschauenden, um seines Adels und seines Lächelns willen, enorm bezaubert. Waren die früheren Herrscher in jenen amerikanischen Reichen wirklich, wie es heißt, aus Europa her, so ist dieses erhabene Haupt das eines Edlen aus unzähligen weißen Ahnenreihen, aus gebietendem Geschlecht, das, überallhin verzweigt, wie die Sagen behaupten, die Throne innehatte, mit seinem souveränen, ein wenig leeren Lächeln den Ausdruck einer solchen Geweihtheit tragend, so längst gefallener Entscheidung auf das Hohe hin, solcher Erlauchtheit im Mild-Herrischen, daß das Gewöhnliche in nichts mehr daran hinreicht. Es war zur Zeit, als Peru vernichtet ward, eben alles schon geleistet, was das Geschlecht zu leisten gehabt hatte, aus dem dieses bereits ermüdende Haupt her ist. Es bleibt erhaben, es geht nicht mit in den Verfall der Geschlechter, es ist völlig herrlich, es lächelt, es ist ohne Bezug zu dieser unbegreiflich gemeinen, gewöhnlichen Welt, die immer noch, als ob nichts geschehen wäre, weitergebt nach einem solchen Lächeln.

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