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Essens Metamorphose

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DIE KRUPPS. Von Norbert Mühlen. Scheffler-Verlag, Frankfurt 1960. 303 Seiten. Preis 19.80 DM.

Mühlens, des US-Journalisten Buch über die Ruhrdynastie ist ein typischer amerikanischer Bericht: reich an Fakten, unparteiisch, stichhältig und von grundsätzlicher Unbefangenheit. Das Thema lag ja in der Luft, die wiedererstandene Dynastie aus Essen zu durchleuchten. Seit sie im 19. Jahrhundert aufstieg, sich zu einem Schwergewicht der Weltwirtschaft entwickelte, war ihr Auf und Ab eng verbunden mit Deutschlands Geschick. Heute beträgt der Jahresumsatz des vom Kanonenmythos überschatteten Imperiums mit seinen wieder 97 Betrieben mehr als eine Milliarde Dollar. 100.000 Mann stehen wieder im Dienste Krupps, als dessen Statthalter der ebenso hemdärmelige wie tüchtige, durch seine jüngsten Polenreisen bekanntgewordene Pommer Berthold Beitz tätig ist.

Die Krupps, im Nürnberger Prozeß als „Symbol deutscher Rüstung und deutschen Angriffsgeistes” gebrandmarkt, ließen sich nicht mehr aufs Waffengeschäft ein. Die Bundeswehr wurde, als erste deutsche Armee, ohne Krupps Hilfe aufgebaut. Wo einst die „Dicke Bertha”, der „Thor” fabriziert wurden, entstehen heute Maschinen, Badewannen, der Grundstoff für die Schuhcreme usw. Man vernachlässigt aber nicht die großen Brocken. Am 12. Jänner 1960 wurde in Rourkela das größte indische Stahlwerk eröffnet — gebaut von Krupp und den VÖESt. Es war freilich ein weiter Weg vom Landsberger Gefängnis, wo Alfried Krupp von Bohlen und Halbach jahrelang gesessen war, bis zur US-Rehabilitierung und zu Chruschtschows Leipziger Trinkspruch: „Glück und Erfolg dem Hause Krupp!” Der lange Bogen spannt sich von jenem Arndt Krupp, der 1587 nach Essen kam, bis zum präsumtiven, 1938 geborenen Erben gleichen Namens. Damals stampfte Hitler vor den Massen, die Jugend „müsse zäh wie Leder, flink wie Windhunde, hart wie Krupp-Stahl” sein. Das ist vorbei. In Krupps Geschichte zeichnet sich wie in einem Spiegelfragment die Entwicklung Deutschlands seit 150 Jahren. Heute mündet der Weg des Ex-Kanonenkönigs in der breiten Straße, die zu einem gemeinsamen, friedlichen Europa führt.

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