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Niveau unerwünscht

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„Europa“ heißt die Marschrichtung der spanischen Regierung, und „An-gleichung an europäischen Standard“ ist das Leitmotiv in Spaniens Handel, Wirtschaft und öffentlichem Leben. Eine Tageszeitung europäischen Formats müßte also in das Bild eines sich langsam wandelnden und Resteuropa näherkommenden Spaniens passen, dachte sich der millionenschwere Fachzeitschriftenverleger Garcia Peri und montierte eine nationale Morgenzeitung mit dem anspruchsvollen Namen „Nivel“ (Niveau). Allein, Senor Garcto Peri sollte sich irren.

Zwischen „Le Monde“ und „Daily Mail“

Getreu ihrem Namen sollte nur das Beste gut genug für die neue Zeitung sein: Fünf Tiefdruckrotationsmaschinen modernster Bauart ließ er aus den USA einfliegen, fünf Hubschrauber sollten jeden Morgen die mit einer Auflage von einhunderttausend Exemplaren erscheinende Zeitung nach den Provinzhauptstädten fliegen, wo ihre Verkeilung von einer eigenen Lieferwagenflottille übernommen werden sollte. Mit diesem System hätte „Nivel“ die gesamte spanische Morgenpresse geschlagen, da deren Provinzausgaben Nachrichten vom Vortage bringen und die Madrider Morgenzeitungen bestenfalls am Nachmittag in der Provinz eintreffen. Auch der Redaktions- und Mit-

arbeiterstab, angeführt von dem bekannten Journalisten und Schriftsteller Mauro Müntz, genügte höchsten Ansprüchen: Schriftsteller wie Jose Maria Gironeüa und Alvaro Cunqueiro bürgten für literarische Qualität, und bekannte Oppositionelle wie der Volkswirtschaftler Poblo Cantö und der Rechtsanwalt Manuel Jiminez de Parga für politische Lebendigkeit.

Jedoch, die Nr. 1 von „Nivel“ erschien zu Silvester. Als erste und letzte Ausgabe. Der Herausgeber hatte erfahren, daß das Informa-tionsministerium seine Zeitung nicht dulden werde. Am 3. Jänner erschien tatsächlich eine Verlautbarung über die Streichung von „Nivel“ aus dem Zeitungsregister, begründet mit unterschiedlichen Angaben über den Redaktionsstab. Die Silvester-Ausgabe war also eine Art Verzweiflungsakt, der allerdings an 50.000 Abonnenten in den Provinzen und an die Madrider Zeitungsleser gelangte, die sich nicht wenig über den explosiven Lesestoff wunderten. Die Nummer enthielt u. a. einen satirischen Leitartikel gegen die Technokraten, eine wirtschaftskritische Seite und Auszüge aus einem geharnischten Kommentar des Vatikansenders, in dem unter Bezugnahme auf die kürzlich vom Madrider Gericht für öffentliche Ordnung gegen einen bekannten Madrider Arbeiterpfarrer verhängte dreijährige Gefängnisstrafe erklärt wurde, daß „wenn derartige Tatsachen sich wiederholen, es den Katholiken der ganzen Welt schwerfallen wird, den offiziell katholischen Charakter Spaniens zu verstehen“.

Selbstverständlich wird „Nivel“ gegen die ministerielle Entscheidung Rekurs einlegen. Die verantwortlichen Redakteure geben sich aber keinen falschen Hoffnungen hin.

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