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Noch Esperanto?

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Im Jahre 1887 hatte der Warschauer Arzt Ludwig Samenhof das erste Lehrbuch des Esperanto unter dem Titel „Lingvo Inter- nacia" erscheinen lassen. Der Autor nannte sich auf dem Titelblatt Dr. Esperanto, „der Hoffende", und in der Tat sind seine Hoffnungen auf die Verbreitung der neuen Welt- verstäncligungssprache in gewissem Maße in Erfüllung gegangen. Bereits vor 1933 gab es in über 100 Ländern über 50.000 Esperantisten, die in 1776 Gruppen und Vereinen organisiert waren.- — Nun fand kürzlich unter dem Schutze der Kommunisten in Budapest die erste „Donauraum-Esperantokonferenz“ statt, in deren Rahmen vor 230 Delegierten ein Programm bekanntgegeben wurde, nach dem künftig, an den Universitäten der Tschechoslowakei, Jugoslawiens und Bulgariens Esperanto unterrichtet werden soll. Der jetzige Vizepräsident der ungarischen Esperantisten hielt bei dieser Gelegenheit eine Rede, deren Kernsätze lauteten:

„Wir modernen Esperantisten beschäftigen uns nicht mehr mit der alten Idee, in Esperanto mit den Völkern ferner Länder zu korrespondieren. Dis ist eine altmodische, romantische Idee. Nur unsere unmittelbaren Nachbarn sind es, die künftig zählen. Die westlichen Esperantisten denken immer noch, ihre Sprache könne politisch neutral bleiben … Wir sind überzeugt, daß Esperanto mit dem Fortschritt marschieren muß und Neutralität unmöglich ist.“

Die alten Esperantisten hatten geglaubt, ein völkerverbindendes und völkerversöhnendes Verständigungsmittel mit ihrer Sprache für die Befriedung der Welt zur Verfügung stellen zu können. Ihre Nachfolger in den Volksdemokratien lassen aber nicht einmal dem Esperanto seine friedsame Zielsetzung. Es muß aufhören, Neutralität zu wollen, es muß auch in den Krieg, muß Trommel und Haßgeschrei werden!

Bald nach der Gründung hatten damals die Studenten von Bialystok, das tu jener Zeit in Rußland lag, eine Hymne gesungen, deren Text in Esperanto abgefaßt war und in deutscher Übertragung etwa folgendermaßen lautet:

Haß von Nation zu Nation • falle, es ist an der Zeit!

Die ganze Menschheit — eine Familie: Vereinigung sei ihr Ziel!

Nun muß neben vielen anderen völkerverbindenden Hymnen auch diese außer Kurs gesetzt werden. Auch von ihr soll es heißen: „Das war einmal und gilt nicht mehr! Aus der internationalen Verständigungssprache machen wir eine Sprache gegen die internationale Verständigung!"

Sie würde also den Namen bekommen müssen: „Desperanto“.

Sind wir schon so weit? Wir glauben nicht.

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