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Raab +

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Es gilt, Abschied von Julius Raab zu nehmen. Einen anderen Abschied als 1961, wo der Kanzler den Ballhausplatz verließ, von dem er durch lange Jahre und mit starker Hand Österreichs Geschicke gelenkt hatte. Damals blieben der Trost und die Hoffnung, Julius Raab werde auch in der ihm von seiner Krankheit diktierten Ruhestellung awi weiterhin seiner Partei und darüber hinaus der österreichischen Politik als „eiserne Reserve“ zur Verfügung stehen.

Der heutige Abschied gilt für dieses Leben, aus dem der Altkanzler nach einem langen letzten schweren Kampf in den Abendstunden des 8. Jänner abberufen wurde.

Ein langer letzter schwerer Kampf... Vielleicht mußte diesen ein Mann durchstehen, dessen Leben seit seinen frühen Jahren dem Kampf geweiht war. Den jungen Pionieroffizier, der seine Kompanie geschlossen und in Ordnung aus dem ersten Weltkrieg in das heimatliche St. Pölten heimführt, erwartet kein beschauliches Dasein. Bald steht er wieder in vorderster Linie der unseligen politischen Auseinandersetzungen, die der Ersten Republik zum Schicksal werden sollten. Und als vor 193S zum Endkampf gerüstet wird, scheint der Name Julius Raab auf der Ministerliste der letzten, österreichischen Regierung auf. Die folgenden bösen sieben Jahre kann Julius Raab zurückgezogen als Baumeister überstehen

— um, wie wir heute wissen, zum Bauherrn der Zweiten Republik zu werden. 1945 steht er zwar wegen seiner „austrofaschistischen“ Vergangenheit im zweiten Glied, aber im Spiel ist er die ganze Zeit, auch lange bevor er 1953 den Schritt aus den Kulissen tut und sichtbar an die Spitze der ersten Regierungspartei tritt. Als Parteiobmann der österreichischen Volkspartei gelingt es ihm, diese Partei durch straffe Führung, der sich jeder beugt, eine Einheit und Geschlossenheit zu geben, die vor und nach Raab kaum ihresgleichen hat. Als Regierungschef aber weiß er seinen Namen mit dem Staatsvertrag und mit der Neutralität für alle Zeiten zu verbinden. Gar nicht lange, und auch der innenpolitische Gegner, der anfangs dem „starken Mann“ mit deutlichen Reserven gegenüberstand, beugt sich vor seinem Realismus und seiner Redlichkeit. Wenn auf die Jahre, in denen Raab das Regiment führte, ein Schatten fällt, so ist es der, daß es diesen hervorragenden Mann nicht stärker drängte, den Brückenschlag zu der jungen, in den Jahren nach 1945 gereiften politischen Generation zu versuchen. Viele Probleme, die seit Julius Raabs Ausscheiden aus der vordersten politischen Front immer offensichtlicher werden, haben darin ihren Ursprung.

1963 sehen wir Julius Raab noch einmal im Kampf. Er wollte sich, obwohl von der nahenden Todeskrankheit schon schwer gezeichnet, nicht dem Ruf seiner Partei für das erste Amt im Staat entziehen. Ein Gang, den man nur mit äußerster Besorgnis verfolgen konnte. Vielleicht aber — das wissen wir heute

— brauchte ein Streiter wie der Altkanzler den politischen Kampf, um weiter, um noch ein Jahr leben zu können.

Nun ist für Julius Raab aller Kampf zu Ende. Österreich darf ihn nie vergessen.

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