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Union Jack in Erdberg

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Aus dem Tagebuch eines Wiener „Bezirksbürgermeisters“ (IV)

Am 30. Juni flog die Marokkanerkaserne in die Luft. Ohne daß ich davon gewußt hatte, befanden sich dort noch große Munitionsvorräte, die durch Unvorsichtigkeit von Plünderern zur Explosion gebracht wurden. Der russische Kommandant vermutete sofort ein Komplott der Faschisten und berief mich mit meinen Polizeifunktionären zu sich. So zornig hatte ich ihn noch niemals gesehen. Zuerst wollte er die Polizisten erschießen lassen und sämtliche Zivilisten, die man nach der Explosion, als sie erschreckt auf die Straße gelaufen waren, verhaftet hatte, der NKWD übergeben. Nach stundenlangem Verhandeln gelang es mir, ihn zu überzeugen, daß es keine Faschisten im Bezirk mehr gebe und die Polizei kein Verschulden treffe. Ein Exempel mußte aber statuiert werden: so nahm er der Polizeimannschaft die sechs Karabiner ab, die er vor einiger Zeit — allerdings ohne Munition — hatte austeilen lassen...

Viel Arbeit hatte ich mit der Organisation der ÖVP im Bezirk: fast täglich langwierige Sitzungen, Besprechungen in der „Falkestraße“ mit Minister Pernter, Hauptmann Oswald, Minister Hurdes, Kunschak, Weinberger usw. Unbekannte Täter hatten im Bezirksparteilokal eingebrochen und das Verzeichnis der Mitglieder entwendet.

Am 7. Juli veranstaltete die Kommandantur eine umfassende Hausdurchsuchung nach illegalen Nazis, die die ganze Nacht dauerte und die Bevölkerung in große Unruhe versetzte.

Am Sonntag, dem 8. Juli, veranstaltete die Volkssolidarität ein Volksfest im Stadtpark, bei dem allerdings das Malheur passierte, daß russische Soldaten die Bierfässer beschlagnahmten, was dem Fest einigermaßen Abbruch tat...

Schon in den ersteh Wochen nach der Befreiung drängten mich die Kommunisten, die Registrierung der Nazis durchzuführen. Anfänglich sprach sich der Ortskommandant dagegen aus, mußte aber allmählich dem Drängen der Kommunisten nachgeben. Auf Grund meiner Unterredung mit Stadtrat Afritsch wußte ich aber, daß eine solche Maßnahme vom Rathaus aus für ganz Wien durchgeführt werden sollte, und gab daher dem Drängen der Kommunisten nicht nach. Erschwert wurde meine Haltung jedoch dadurch, daß einzelne „Bezirksbürgermeister“ auf eigene Faust solche Registrierungen vornahmen, wie in Margareten, Neubau usw. Es gelang mir aber trotzdem, durch geschickte Verhandlungen die Sache so lange hinauszuziehen, bis die offizielle Registrierung erfolgte:

Seit dem Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 waren zwei Verbotsgesetznovellen und das Bundesverfassungsgesetz vom 24. Juli 1946 ergangen. Das Gesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten bildete den Schlußstein. Diese schwierige gesetzliche Materie gemeistert zu haben, ist vor allem das Verdienst des damaligen Obermagistratsrates Dr. Albert Markovics, der später als Ministerialrat ins Bundeskanzleramt kam.

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