Gulasch statt Büchner

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"Revolution!" am Akademietheater: "Dantons Tod" und "Der Auftrag" in der "Flotten Lotte".

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"Revolution!" am Akademietheater: "Dantons Tod" und "Der Auftrag" in der "Flotten Lotte".

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Bei der Zubereitung eines guten Gulaschs muss der Saft püriert werden, so dass die feinen Rindfleischstücke als einzige kompakte Bestandteile aus dem Teller ragen. Die Hungerration Revolutionsgulasch - um bourgeoise 35 Schilling - ist auch das Highlight des achtstündigen Marathons "Revolution!" am Wiener Akademietheater, zusammen mit der Möglichkeit, sich mit Jakobinermütze und Trikoloreschärpe fotografieren zu lassen sowie dem Vortrag von Revolutionsliedern in der großen Pause. Ein aufregendes Spektakel hätte die Abfolge von Georg Büchners revolutionsdrama "Dantons Tod", Heiner Müllers Stück "Der Auftrag", einem Prolog, drei Intermezzos und diversen kleineren Einlagen werden sollen, aber Andreas Kriegenburg, Regisseur und Gestalter des Abends, hat nur - wie bei Revolutionen üblich - Flüchtlingsströme in Bewegung gesetzt: Bei der zweiten Vorstellung hatte es gut die Hälfte des Publikums vorgezogen, nicht bis zum Ende auszuharren.

Wäre Kriegenburg nur für das Revolutionsgulasch verantwortlich, so gebührte ihm höchstes Lob. Weil er aber das Rezept von der Küche auf die Bühne übertragen hat und obendrein nicht richtig mit den Zutaten hantiert, kann man nur bedauern, dass er den Löffel überhaupt in die Hand genommen hat. Kriegenburg will sich offenbar nicht über Büchners Drama lustig machen, dennoch zwingt er den Figuren ohne erkennbaren, geschweige denn einleuchtenden Zweck ein ihren Worten widersprechendes Spiel auf, legt ihnen den Text anderer Figuren in den Mund und verzeichnet die Charaktere zum größten Teil.

Der zum Tode verurteilte Camille Desmoulins (Michele Cuciuffo) grinst aus unerfindlichen Gründen, als er beklagt, nun nicht mehr mit dem Kind spielen zu können, das seine Frau Lucile (Doreen Nixdorf) in sich trägt. Der Epikureer Danton (Roland Koch), zeitweise als Louis XIV.-Epigone gezeichnet, spricht die Worte seiner Ankläger selbst, dessen Gegenspieler, der Tugendpsychopath Robespierre (Wolfgang Michael) bringt wegen seiner geradezu ätherischen Künstlichkeit das dramatische Gleichgewicht ins Wanken. Nur der St. Just des Johannes Krisch zeigt sich packend als das was er ist: ein eiskalter, skrupelloser Machtmensch.

Wie die saftigen Fleischwürfel ragen die längeren Passagen aus dem Büchner-Püree heraus: Der Text des St. Just und einige Monologe der anderen Protagonisten erinnern schmerzlich daran, welches packende Stück hier dem inszenatorischen Stabmixer zum Opfer fiel. Gut aufbereitet hingegen hat der Regisseur die große Szene im Nationalkonvent. Aus den vielseitig verwendeten Schlitzen im kahlen Weiß des Bühnenbildes sich lehnende Puppen suggerieren eindrucksvoll eine wankelmütige Deputiertenmasse.

"Der Auftrag" verfügt möglicherweise über die Qualitäten Sinn und Zusammenhang, da Kriegenburg jedoch einigen Indizien zufolge ähnlich verfährt wie bei "Dantons Tod", ist eine gerechte Bewertung schwer möglich. Nachdem Napoleon in Frankreich die Herrschaft ergriffen hat, wird der an den Arzt Debuisson (Natali Seelig), den Bauern Galloudec (Benno Ifland) und den ehemaligen Sklaven Sasportas (Wolfgang Michael) ergangene Auftrag, auf dem englischen Jamaika einen Sklavenaufstand anzuzetteln, obsolet. Abermals haben Kriegenburgs Figuren nichts mit den daraus resultierenden inneren Konflikten zu tun: Weder Debuissons Motivation, seine Ideale zu verraten, noch jene Galloudecs, weiterzumachen, werden deutlich. Bei Müller hat Kriegenburg gleich alles durch die "Flotte Lotte" gedreht und kein Fleisch übrig gelassen - so es denn welches gab.

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