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Danton als Rumpelstilzchen

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Vor der Premiere erklärte der tschechische Regisseur Vaclav Hudeček in einem Interview, die Darsteller des Wiener Volkstheaters seien so gut, daß drei Wochen Probe für ein Stück wie „Dantons Tod“ von Georg Büchner völlig genug seien, weil man sofort in die Arbeit hineinspringen kann, weil sie sofort wissen, was man von ihnen will. Und genauso sieht nun auch die Aufführung aus: Eine sehr gute Inszenierung - würde ein von Hausautoren zusammenmontierter Bilderbogen von der Französischen Revolution gespielt.

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Vor der Premiere erklärte der tschechische Regisseur Vaclav Hudeček in einem Interview, die Darsteller des Wiener Volkstheaters seien so gut, daß drei Wochen Probe für ein Stück wie „Dantons Tod“ von Georg Büchner völlig genug seien, weil man sofort in die Arbeit hineinspringen kann, weil sie sofort wissen, was man von ihnen will. Und genauso sieht nun auch die Aufführung aus: Eine sehr gute Inszenierung - würde ein von Hausautoren zusammenmontierter Bilderbogen von der Französischen Revolution gespielt.

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Aber Büchner? Hudeček beweist wider Willen, daß man „Dantons Tod“ halt doch nicht im Schnellsiedever- fahren inszenieren kann. Daß der Weg des geringsten Widerstandes nicht zum Kern dieses Stückes führt, das viele Jahrzehnte auf seine Erstaufführung warten mußte, weil es revolutionäres Stück eines Revolutionärs ist. Ein politisches Stück. Alles, was es darüber hinaus außerdem noch ist, nämlich Dichtung, geht im Volkstheater unter.

Weitere drei Wochen Probe - und Hudeček und die Darsteller hätten Zeit genug gehabt, zu erkennen, daß das Gerenne und Gepolter und Mö- belumschmeißen und das Geschrei auf der Bühne in Stille übergehen muß, wenn Sätze gesprochen werden, die zu den schönsten des deutschen Theaters gehören. Und daß solche Sätze so gesprochen werden müssen, daß sie auch verstanden werden. Akustisch, intellektuell und emotionell. Daß die Dichtung nach der Pause geradezu Lebenszeichen von sich gibt, läßt vermuten, daß Regisseur und/oder Darsteller vielleicht in letzter Minute die Fehler erkannt haben. Aber drei Wochen sind halt zuwenig, um daraus auch noch Konsequenzen zu ziehen.

Allerdings, Hudeček scheint mit jener Schichte dieses vielschichtigen Werkes, in der es, jenseits aller Politik,

um den Tod geht, überhaupt nichts anzufangen zu wissen. Offenbar standen ihm einige der stärksten Sätze Büchners nur im Weg, haben ihn geärgert - sonst hätte er nicht gerade hier herumgestrichen.

Und auch mit dem echten revolutionären Feuer, dem echten Pathos des großen Volkstribunen, scheint Hudeček, der Mann aus einem Land kältester Macht-Technokratie, nichts anzufangen gewußt zu haben. Offenbar stand ihm auch das Wahre, Echte, Überzeugende der Rhetorik Dantons im Weg. Sonst hätte er dessen fulminante Verteidigungsrede nicht ad absurdum geführt, indem er Herwig Seeböck am Ende dieser Rede wie «in wutschnaubendes Rumpelstilzchen herumtrampeln läßt. In einer Inszenierung, in der die lyrischen Töne kläglich mißlangen, ist diese Stelle das deutlichste Symptom dafür, daß man auch die politische Dimension des Werkes nicht verstehen konnte oder wollte. Ein Revolutionär, der in der Verteidigung zum Ankläger wird und den der Regisseur desavouiert, indem er ihn zum Kasperl macht - macht sich hier vielleicht der verdrängte, nicht eingestandene Haß dessen, der gern ein Revolutionär wäre, wenn die Verhältnisse so wären, gegen den, der es wirklich war, Luft?

Dagegen könnte man natürlich einwenden, daß Danton kein reiner Tor der Revolution war. Aber Büchner wäre nicht Büchner gewesen, hätte er nicht gerade in dieser Szene den Danton alles Korrupte abstreifen und angesichts des Todes den integren Danton noch einmal durchbrechen lassen.

. Danton heute zu inszenieren, setzt, wie man sieht, Denkarbeit voraus. Am besten im Team. Aber das geht nicht in drei Wochen. In drei Wochen lassen sich nur noch die Anweisungen eines

Regisseurs ausführen, der genau weiß, was er will. Auch wenn er nicht weiß, warum er es will.

Schade drum, denn es ist immerhin erstaunlich, was in diesen drei Wochen trotzdem möglich war. An Profilierung einzelner Fuguren - und an Teamwork. Die Massenszenen sitzen - da wurde nicht gespart. Herwig Seeböck hätte ein großartiger Danton werden können. Die Ansätze dazu allein sind sehenswert (wie die ganze Aufführung, die immerhin den Vorzug hat, daß sie veranlaßt, sich mit dem Stück wieder zu befassen). Emst Meister ist ein sehr beeindruckender Ro- bespierre: Glaubwürdigkeit in der Intensität seiner Überzeugungen, dabei sehr verhalten, dadurch um so gefährlicher. Alles andere als ein Stalin des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Ein Gläubiger des Rationalismus. Harry Fuß als St. Just hingegen: Masche. Ein kleiner Nach-dem-Mund-Redner von der Stange. Damit ist diese Rolle unter ihrem Wert verkauft.

Auch Ernst Cohen zeigt starke Ansätze zu dem Desmoulins, der er sein könnte - in einer nicht so auf falsche Dynamik und Geschrei angelegten Inszenierung. Zeigt es dort, wo etwas Ruhe aufkommt. Allerdings, die wunderschöne Szene mit Lucile am Kerkergitter - ein Schatten ihrer selbst. Wer den Danton nur aus dieser Inszenierung kennt, wird schwerlich ahnen, daß er eine der schönsten Liebessze- nen des deutschen Theaters gesehen hat. Dabei bringen gerade Heidi Picha als Lucile und Erika Mottl als Julie den Büchner gemäßen Ton ein - aber der kann sich in diesem Konzept nicht entfalten.

So ruft denn Heidi Picha am Ende ihr „Es lebe der König!“ und wird abgeführt. Ohne Aufsehen (auch im Publikum). Ohne, daß es einem kalt über den Rücken liefe. Eine hübsche, unterhaltende Inszenierung also. Mit viel Drehbühne und einfacher, aber wirkungsvoller Ausstattung (Zbynčk Ko- lär) und flotten Kostümen (Maxi Tschunko) und Tempo. Wer Büchner nicht kannte und über die Französische Revolution nicht nachgedacht hat, hat sich sicher glänzend unterhalten. Und glaubt sogar, jetzt mehr zu wissen.

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