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Fatalität der Geschichte

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AUF GEORG BÜCHNER, der als Sohn eines Distriktsarztes zu Goddelau in Hessen am 17. Oktober 1813 geboren wurde — im gleichen Jahr wie Otto Ludwig, Richard Wagner, Friedrich Hebbel und S0ren Kierkegaard —, konnten sich innerhalb der letzten 50, 60 Jahre drei literarische Schulen und Richtungen beziehen und berufen: Die Naturalisten feierten Büchner als wirklichkeitsgetreuen Schilderer eines bestimmten Milieus. Die expressionistischen Dichter hörten im „Woy-zeck“ den Naturlaut, in dem ein dumpfes Menschentum den Ausdruck seines Innern sucht. Für sie wird die „aufgebrochene“ Form der Büchnerschen Dramen, die lockere Folge filmisch ablaufender Szenen, zum Vorbild, so für Wedekind und Stramm, Sternheim, Edschmid und Kaiser. Den Heutigen, so kann man zuweilen lesen, erscheint Büchner als „der tragische Nihilist“, als „erster Gestalter des Existentialismus“, der bereits vor 130 Jahren von der „Angst vor dem Geworfensein in das Nichts“ zu künden wußte.

IN BÜCHNERS KURZEM, nur 23 Jahre und vier Monate währendem Leben, durchdringen und kreuzen sich verschiedene Kraftströme, die ungeheure Spannungen erzeugten. Da war zunächst der Naturwissenschaftler, der sich zum erstenmal mit zehn Jahren zu Wort meldet, als Autor eines lateinischen Dialogs mit dem Thema „Vorsicht bei dem Genüsse des Obstes“ und dessen letztes Manuskript, die Antrittsvorlesung an der Universität Zürich, die Schädelnerven der Fische zum Gegenstand hat. Dann war da der Freund des Volkes, der auf dem politisch heißen Boden Hessens in den revolutionären Geheimbund des Rektors Friedrich Ludwig Weidig geriet, der seinen „Hessischen Landboten“ unter das Motto „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ stellte und der 1834 die geheime „Gesellschaft für Menschenrechte“ gründete. Aber der steckbrieflich verfolgte Student der Medizin, der erst in Straßburg, zuletzt in der sicheren Schweiz Zuflucht suchte, war kein armer Prolet mit Wollust um den Hals und zerissenen Schuhen, sondern ein soignierter Jüngling mit feinem Zylinder und hohen Ansprüchen, dem am Ende seines Lebens eine glänzende akademische Karriere winkte.

MIT „DANTONS TOD“, dessen 32 Szenen zu Beginn.des Jahres 1835 innerhalb von fünf Wochen niedergeschrieben werden, will sich Büchner „befreien“: vom Druck der deutschen Verhältnisse. Und aufrichten: am Beispiel und Vorbild der Französischen Revolution. Und was erkennt er? „Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühle mich wie vernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, allen und keinem verliehen. Der einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen, das Höchste, es zu beherrschen, unmöglich ... Das Muß ist eins von den Verdammungsurteilen, womit der Mensch getauft worden ist.“ Danton, in Büchners Stück, spricht das gleiche mit ein wenig anderen Worten aus: „Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen? Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet? Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nicht, nichts ...“ Hierzu noch eine andere Stelle. Danton sagt: „Ruhe.“ Phillipeau: „Die ist in Gott.“ Danton: „Im Nichts. Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab, worin es fault.“

HIER TAUCHEN BILDER UND SYMBOLE des Nihilismus auf, dem die Metaphysik des Leidens zugeordnet ist. Von Montaigne über Lichtenberg und Schopenhauer führt eine gerade Linie zu Büchner, dem die Welt als die klaffende Wunde Gottes erscheint. Es ist der „Mythos atheos“, für den Büchner das folgende dichterische Bild setzt: „Wie schimmernde Tränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt: es muß ein großer Jammer in den Augen sein, von denen sie abträufeln.“ — Ein anderes bei Büchner häufig wiederkehrendes Bild ist das der Marionette und des mechanischen Musikapparats. Büchner spricht einmal davon in einem Brief an seine Braut: von den zuckenden Gelenken, den herausknarrenden Stimmen und den sich im Orgelkasten drehenden und hüpfenden Stiftchen. Im gleichen Brief gibt Büchner eine Selbstdarstellung, die Züge individueller Melancholie und Schizophrenie erkennen läßt: Er spricht vom „Gefühl des Gestorbenseins“, des Starrkrampfes, davon, daß alle Menschen um ihn das hippokratische Gesicht zeigen, die Augen verglast, die Wangen wie Wachs. Und er klagt über die Unfähigkeit, sich mitzuteilen: „Das Stummsein ist meine Verdammnis.“ — Nur in den wenigen Werken, die Büchner hinterlassen hat, diesen vollkommenen Fragmenten, hat sich die Starre gelöst. In ihnen ist viel Raum für Musik. Das hatte Alban Berg gefühlt, als er den „Wozzeck“ komponierte; 20 Jahre später griff Gottfried von Einem nach „Dantons Tod“, der am 6. August 1947 seine Premiere bei den Salzburger Festspielen erlebte und nun auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper steht.

„WER DICHTUNG SAGT, SAGT LEID“, so lesen wir auch bei Balzac. Dieses Leid, so mag man interpretieren, wurzelt an jener Stelle, wo das religiöse Gefühl ausgerissen wurde. Dieser Pessimismus, Fatalismus und Determinismus stieß den Dichter Büchner immer wieder aus dem fortschrittsgläubigen, demokratischen Lager. Vergessen wir schließlich auch nicht, daß der arme Woyzeck nicht von zwar schrulligen, aber letzten Endes wohlgesinnten Vorgesetzten, sondern durch seinesgleichen zugrunde gerichtet wird.

ALS GEORG BÜCHNER, 23 jährig, nach einer nur 17 Tage währenden Krankheit in Zürich starb — an Typhus, nach einer anderen Version: an den Folgen einer Leichenvergiftung —, habe er, nach einem heftigen Sturm von Phantasien, mit ruhiger, feierlich erhobener Stimme die Worte gesprochen: „Wir haben der Schmerzen nicht zuviel, wir haben ihrer zuwenig, denn durch den Schmerz gehen wir zu Gott ein! Wir sind Tod, Staub, Asche, wie dürfen wir klagen!“

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