DER STAATSFEIND ALS KLASSIKER

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GEORG BÜCHNER: DER REBELL IM UNTERGRUND VON DAMALS IST ZUM VOR-BILD VON HEUTE GEWORDEN.

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GEORG BÜCHNER: DER REBELL IM UNTERGRUND VON DAMALS IST ZUM VOR-BILD VON HEUTE GEWORDEN.

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Welchen Büchner meinen wir, wenn wir von Georg Büchner reden? Wir schätzen ihn als Verfasser dreier Theaterstücke und der Novelle "Lenz", mit denen die deutsche Literatur ein neues Zeitalter betritt. So zerrissen ist dieser Mann, dass ihm die geschlossene Form nichts gilt. Seine Werke quellen aus dem Rahmen, weil es zuviel Welt gibt für das bisschen Literatur, das sich ihm zu seiner Zeit als Modell anbot. Denken wir, wenn wir von Büchner reden, an den Mediziner, der er nach einem abgeschlossenen Studium ja auch war? Immerhin hat er eine bahnbrechende Arbeit über Schädelnerven geschrieben. Überdies ist sein Tod auf eine Infektion zurückzuführen.

Dramatiker, Mediziner, Denker

Oder haben wir doch eher Büchner als politischen Denker im Auge, der die Versprechen und Erwartungen der Menschheit, die durch die Französische Revolution in die Welt gesetzt wurden, sein kurzes Leben lang als uneingelöste oder gar uneinlösbare Imaginationen nicht abtun wollte? Einmal zu Papier gebracht, sah er die Ziele der Revolution von Gleichheit und Freiheit als Verpflichtungen, die auf Umsetzung drängten. Überhaupt Papier! Büchner ist weniger als Revoluzzer zu verstehen, der sich für den Kampf auf der Straße hergibt, aber er lieferte mit seinen Schriften das theoretische Rüstzeug, um die Notwendigkeit des politischen Widerstands kraft der Logik der Argumente zu beglaubigen. Er ist der typische Überzeugungs-Literat, der weit entfernt von einer Politik der Gefühle die Vernunft zu Rate zieht, um die Heraufkunft einer neuen Zeit zu befördern. Büchner ist der Revolutionär, der unbedingt dem Aufstand in seiner einzigartigen Sprache das Wort redet. Dafür bringt er es zum Staatsfeind, dessen Schriften des "Hessischen Landboten" verbotene und von der Obrigkeit gejagte Ware sind.

Das ist viel für ein dreiundzwanzigjähriges Leben, wie also nähert man sich einem Menschen, dessen Werk zum kollektiven Erbe gehört und womit wir dennoch bis heute nicht fertig sind? Schriftsteller, Mediziner, Revolutionär -wir müssen uns Büchner als einen komplexen Charakter vorstellen, der all seine Identitäten gleichzeitig leben muss. Einen einheitlich gerundeten Typus ergibt das nicht. In diesem Mann arbeiten Spannungen, die ihn zu sprengen drohen. Anhand seiner überlieferten Schriften lässt sich nachvollziehen, wie er sich rasend schnell auf mehreren Feldern parallel entwickelt. Deshalb lässt sich der Schriftsteller nicht vom Mediziner und nicht vom politischen Publizisten trennen. Einer befördert den anderen, das Seziermesser des Pathologen steht auch dem Analytiker der Gesellschaft gut zu Diensten. Und dennoch dürfen wir darüber nicht vergessen, dass Büchner in all seiner Arbeitswut auch als Privatmensch ein Leben führte. Er laviert sich durch Verhältnisse, die nicht ohne weiteres so nebenbei zu bewältigen sind. Er geht nach Straßburg, radikalisiert sich unter dem Eindruck der in Frankreich so offen geführten politischen Debatten und muss vor seinem Elternhaus seine wahre Gesinnung verheimlichen. Er verlobt sich heimlich und vertraut sich der jungen Frau in einem Maße an, dass sich aus den Briefen an sie die Zerrissenheit und all seine Krisen herauslesen lassen.

Folgender Gedanke hat etwas Bestechendes: Der bedeutendste Literaturpreis im deutschsprachigen Raum, jährlich vergeben von der ehrwürdigen Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, ist nach einem Staatsfeind benannt. Der Rebell im Untergrund von damals ist zum Vorbild für heute geworden. Die Welt, für die er sein Leben aufs Spiel setzt, ist uns heute selbstverständlich geworden. Dass das Volk etwas zu sagen hat, dass ihm das Recht an politischer Teilhabe zukommt, stellt niemand mehr ernsthaft in Frage. Büchner bedient sich der Flugschrift "Der Hessische Landbote", in dem so verstörende Sätze wie folgende stehen: "Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am 5ten Tage, und die Fürsten und Vornehmen am 6ten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: Herrschet über alles Gethier, das auf Erden kriecht, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt." 1834 erschienen, verursachte die Schrift schon viele Jahre vor dem "Kommunistischen Manifest" von Marx und Engels (1848) erheblichen Aufruhr.

Von Skepsis geprägt

Von Zweifeln heimgesucht bleibt Büchner immer. Er kämpft mit all seiner Energie darum, die Machtverhältnis in einem Deutschland der Kleinstaaten zu kippen - auch mit Mitteln der Gewalt -, siegesgewiss gibt er sich dennoch nie. Über das Studium der Französischen Revolution findet er zu einer ihn intensiv prägenden Skepsis. Die Möglichkeit, den Verlauf der Geschichte nach Prinzipien der Vernunft auszurichten, wird ihm fragwürdig. Im so genannten "Fatalismusbrief" an seine Verlobte Wilhelmine Jaeglé vom Jänner 1834 schreibt er: "Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem grässlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich." So schreibt kein Revolutionär. Das ist einer, dem jede Antriebskraft abhanden gekommen ist, der nicht länger glauben will, dass er etwas auszurichten vermag gegen die Verhältnisse.

Ausweglosigkeit

Aber finden wir diese Spannung zwischen dem unbedingten Willen, auszubrechen, umzustürzen und der verzweifelten Haltung, es gegen den Willen beim Alten belassen zu müssen, nicht ebenso in seinen Theaterstücken? Begegnen wir dem armen Woyzeck und seinesgleichen nicht als einer Person, die keine Chance hat? Und strebt nicht das Stück, das die Ausweglosigkeit eines zur Abhängigkeit verdammten Lebens in aller Drastik vorführt, an, dem tristen Befund zum Trotz genau diese Verhältnisse in den Orkus der Geschichte zu befördern? In "Dantons Tod" begegnen wir keinem Revolutionär im klassischen Sinn, der sich als Held über den Verlauf der Geschichte definiert. "Danton macht keine Geschichte mehr", so knapp charakterisiert die Theaterwissenschafterin Christina Kaindl-Hönig diesen neuen Menschentypus auf dem Theater, der nicht mehr aus sich heraus innere und äußere Stärke verkörpert. Die Kraftlackelei, wie sie doch Schiller noch pädagogisch wertvoll in Szene setzt, findet bei Büchner keine Fortsetzung. Büchners Danton laviert sich als Mann unter Einfluss der Verhältnisse durch das Stück, dem seine Leitfunktion ausgetrieben worden ist.

"Leonce und Lena", so heiter das Stück anmutet, verbirgt nicht die melancholische Weltsicht, die sich im Verfasser eingebrannt hat. "Die Erde und das Wasser da unten sind wie ein Tisch auf dem Wein verschüttet ist und wir liegen darauf wie Spielkarten, mit denen Gott und der Teufel aus Langeweile eine Partie machen." So spricht Valerio, eine Figur von schelmischem Charakter, die Ansichten vorträgt, die Büchner selbst entsprechen. Nein, weit her ist es nicht mit der Machbarkeit der Welt, wenn selbst Danton zu folgender Erkenntnis gelangt: "Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht."

Es ist doch etwas anderes, Literatur zu schreiben als eine politische Flugschrift, die die Erkenntnis der Leute befördern soll, sich aufzulehnen gegen die Unerträglichkeit des von Menschen verursachten Unglücks. Dennoch musste Büchner zur Kenntnis nehmen, dass sein "Hessischer Landbote" in der politischen Praxis gescheitert ist. Das Feuer der Gedanken und der so wild auftosenden Sprache will sich nicht übertragen auf die Menschen, auf dass sie den Fürsten das Fürchten lehren. Diese sind nicht leicht zu erschüttern. Im Sommer 1834 wird auf Hinweis eines Denunzianten Karl Minnigerode, ein sehr enger Freund Büchners, aufgegriffen, in dessen Rock eingenäht und in Stiefeln verborgen man 139 Exemplare des "Landboten" findet. Büchner flieht aufgeschreckt und befürchtet das Schlimmste. "Man sucht ihm um jeden Preis sein Geheimniß zu entreißen", schreibt Büchner im März des nächsten Jahres aus Straßburg und 1838 erhält er die - falsche - Nachricht, dass Minnigerode "drei Jahre lang todt gequält worden" sei.

Gegen Verführung der Macht

Mit regelmäßiger Büchner-Lektüre bekommt man ein Gegengift gegen die Verführungen der Macht injiziert. Bei Büchner ist jedes geschriebene Wort der Notwendigkeit geschuldet. Es gibt nichts Beiläufiges, Nebensächliches, das schmale Werk ist der Ausdruck eines inneren Zwanges, dem Menschen den Weg zur Mündigkeit und Freiheit zu ebnen. Er kauft den Mächtigen ihre Phrasen nicht ab, er verachtet die Handlanger der Geschichte, die den Status quo zu sichern bestrebt sind. Wir brauchen Büchner als Widersacher heute.

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