Handkes Schönheitssuche

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Sein neues Stück "Untertagblues" am Akademietheater - überzeugend gegen den Text inszeniert.

Vor zwei Wochen hatte Peter Handkes neues Stück "Untertagblues" seine Uraufführung am Berliner Ensemble - das ehemalige kongeniale Theaterteam Claus Peymann und Peter Handke tritt wieder vereint auf. Auch wenn man nicht dabei war, entfaltet sich blitzartig Peymanns ästhetikverliebter Realismus vor dem inneren Auge. Modernes Theater sieht heute allerdings anders aus: Die neue Generation tut Handke sehr gut. In Wien lässt die junge Regisseurin Friederike Heller die österreichische Erstaufführung richtig abheben, und damit hat sie es sich gleichermaßen leicht wie schwer gemacht.

Heller entzieht sich jeglichen Vergleichen, sie etabliert die Szenerie am Akademietheater im modischen Retro-Look vergangener Jahrzehnte. In einem mit Spiegeln ausgestatteten Glaskobel (Sabine Kohlstedt) bewegen sich Philipp Hochmair als "Wilder Mann" und das Erste Wiener Heimorgelorchester in türkisblauen Glitzer-Overalls. Als vereinte DJs illustrieren sie Handkes wortgewaltigen Monolog musikalisch. Eine U-Bahnfahrt, deren Stationen Videoprojektionen markieren, wird zu einer Weltraumreise an Haltestellen der Beliebigkeit. Schottenring, La Paz, Dolina oder wie auch immer - in der totalen Entfremdung seiner selbst gibt es nur mehr fremde Orte für den Postmodernen. Keine ein- und aussteigenden Fahrgäste wie im 1980er JahreErfolgsstück "Linie 1" wirbeln um den Reisenden. Die vier Heimorganisten vervielfältigen sich im Spiegelglas des Bühnen-Cockpits zu einer zahllosen Menge gesichtsloser Bordgäste, die mit braunem Pagenkopf-Toupet und dunkler Brille als Autor-Zitate in der Menge des Publikums verschwinden. Dieses freut sich, wenn das Saallicht alle gleichmacht und Hochmair an die Rampe tritt, um ihnen ihre Hässlichkeit als moralische Fehlleistung vorzuwerfen. Denn: Im Wiedererkennungseffekt liegt eine scheint's unermessliche menschliche Freudenquelle. "Ah, die Publikumsbeschimpfung", raunt es leise durch die Reihen, und das Licht zieht sich wieder auf die Bühne zurück. Es ist ein Stationendrama zurück zu Handkes Skandalstück, mit dem er 1966 tatsächlich bei den Theatergehern eine reaktive Kraft auslöste.

Heute zeigen sich seine gesellschaftlichen Utopien in der Vorstellung eines vollkommenen Zusammenlebens wie hübsche Hinterglasbilder im bürgerlichen Wohnzimmer.

Philipp Hochmair zieht Handkes Schönheitssuchenden zu einem Besessenen der Aufrichtigkeit und des Sozialen hoch, denn in der Gemeinschaft liegt die wahre "Schönheit" der Gesellschaft. Er tanzt und singt und schimpft mit tendenziellem Überdruck durch triviale Alltagsmythen bekannter Schlager. Bei Heller gibt es keinen ironischen Bruch, ihr Konzept ist eine einzige Konterkarierung, die dem moralischen Unterfutter keinen Raum lässt. Gut so. Bibiana Zeller ist damit als "Wilde Frau" vom Textauftrag befreit, den "Wilden Mann" in seiner Selbstgerechtigkeit zu entlarven. Das hat das Konzept von Friederike Heller bewältigt, umso mehr entfaltet sich der Witz von Zellers Darstellung, eine Leichtigkeit neben dem obsessiven Spiel Hochmairs. Am Ende hat er den "Wilden Mann" unter seine Kontrolle gebracht, und es macht Freude ihm zuzusehen. Friederike Heller hat gewonnen, auch wenn Peymann nicht verloren hat. Und Handke? Arbeitet gewiss an einer neuen Herausforderung.

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