Hoch intelligent und herausfordernd

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Premiere von Alfred de Mussets „Lorenzaccio“ am Wiener Burgtheater: Regisseur Stefan Bachmann versteht das Historiendrama – das Hauptwerk der französischen Romantik – vor allem als Groteske. Michael Maertens zeigt unter Bachmanns Personenführung neue Facetten seines Könnens.

Der gute alte Ludwig van – wie ihn Alexander DeLarge in Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ nennt – ist nun im Burgtheater zu hören. Zu Beethovens Musik dreht Alex die Vorstellung von Gut und Böse um: vergewaltigt, mordet und zerstört lustvoll. Der namensgleiche Charakter wird zur Referenz für Alessandro de Medici; die Verkehrung und Verzerrung von Werten ist Ausgangsbasis für Stefan Bachmanns Inszenierung von Alfred de Mussets Historiendrama „Lorenzaccio“.

Zeitloser Gesellschaftsbefund

Subtil wird bei Bachmann nicht gearbeitet; im Gegenteil, er zitiert Beethovens Neunte und zeigt, was er unter Dekadenz versteht. Vor den glänzenden Wänden des Stadtstaates Florenz hat Bühnenbildner Johannes Schütz einen lehmigen Boden ausgelegt – in güldenen Schuhen lustwandeln die Figuren durch den Dreck. Bachmann hat einen zeitlosen Gesellschaftsbefund anhand der Geschichte von Alessandro und dessen Cousin Lorenzo entwickelt, welcher mit Mussets Gegenwart verschmilzt, der das Drama 1832 unter dem Eindruck der Julirevolution geschrieben hat.

Musset, der absinthsüchtige Lebemann, bezieht sich auf die italienische Renaissance und schildert die Auseinandersetzungen zwischen der Despotie der Medici und dem Widerstand der republikanischen Strozzi. Dazwischen steht die Titelfigur Lorenzo, verächtlich „Lorenzaccio“ genannt, der sich – angeregt durch die Lektüre antiker Schriften – aus idealistischem Impetus der Ermordung des Tyrannen Alessandro verschrieben hat. Lorenzaccio trägt deutlich Züge seines Autors, der bei Fertigstellung des Stücks auch privat in eine Krise stürzte: George Sand, Mussets Lebensgefährtin, hatte sich ebenfalls mit dem Stoff beschäftigt. Die beiden überwarfen sich und das Ende der Beziehung war für Musset nachhaltig katastrophal.

Regisseur Bachmann versteht „Lorenzaccio“ – das Hauptwerk der französischen Romantik – vor allem als Groteske. Auch die Aufführungsgeschichte zeigt, dass ein konventioneller Zugang kaum denkbar ist: In der Uraufführung des Dramas 1896 (bezeichnenderweise am Théâtre de Renaissance) war Sarah Bernhardt in der Titelrolle zu sehen. Im Burgtheater spielt ihn Michael Maertens außergewöhnlich berührend in dessen seelischer Gespaltenheit. Maertens, der seit „Bunbury“ aufs Boulevardeske abonniert ist, zeigt unter Bachmanns Personenführung andere Facetten seines Könnens. Er ist sinnlich-lebensnah und weltfern zugleich, er trägt sein Leben wie eine Maske. Seine Utopien sind sinnentleerte Pläne, fahl vor der Realität einer zutiefst heuchlerischen Gesellschaft und der verführerischen Kraft der Sinne. Maertens’ Lorenzaccio weiß darum und verkörpert dieses „Dazwischen“. Keinesfalls ist er ein Held und noch weniger ein Antiheld.

Im zentralen Dialog mit dem schwachen Anführer der Republikaner, Filippo Strozzi, den Martin Schwab als biederen, weinerlichen Familienvater gestaltet, gibt Lorenzaccio seine Ideale preis.

Zeitlos bleiben auch Mussets Sätze, dass nicht Mut, sondern vor allem Ignoranz die Welt beherrscht. „Es gibt nur wenige, die wirklich böse sind, viele Feiglinge, aber die meisten sind gleichgültig“, sagt Lorenzaccio sinngemäß im goldenen Käfig von Florenz, wo der Herzog Alessandro (Nicholas Ofczarek) einen ausschweifenden, verantwortungslosen Regierungs- und Lebensstil führt.

Voller Theater- und Spiellust

Ofczarek ist Maertens’ kongenialer Gegenpart, der wie ein tyrannisches Riesenbaby über die Bühne trampelt und stolziert, mit nichts anderem als Macht, Sex und Gewalt im Sinn. Ofczarek ist nichts heilig – ebenso wenig wie dem kupplerischen Kardinal Cibo (Sebastian Blomberg), der allein den Papststuhl im Auge hat. Um Alessandro herum sind die ausgehöhlten Gesichter der Gedemütigten und Missbrauchten, die im goldenen Licht einfach nur schlecht aussehen. Die zehn Schauspieler (Silvia Fenz, Daniel Jesch, Mavie Hörbiger usw.) spielen quasi alles: die Pferde, die sich in schwarzer Unterwäsche am Sofa räkeln bis hin zum Lampenständer (Gerrit Jansen), der sich als geheimnistragender Dienstbote entpuppt.

Bachmann ist der Bogen von der italienischen Renaissance in die Gegenwart gelungen, aber auch ein Bogen voller Theater- und Spiellust, hoch intelligent und herausfordernd.

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