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Erotik des Todes

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Die Einwohner von Florenz, genauer: die republikanisch eingestellten Bürger der Stadt, beklagen deren Niedergang — sie wenden sich gegen die tyrannische Gewaltherrschaft der Medici. Aber zum Handeln, zur befreienden Tat fehlt ihnen die Kraft; einige hoffen auf Lorenzino de Medici, genannt Lorenzaccio, den Vetter des gewissenlosen Herrschers Alessandro. Bei Alfred de Musset ist „Lorenzaccio“' ein politisches Stück, das aber auch zeigt, wie politisches, befreiendes Handeln gelähmt ist durch die Einwiricung psychischer Komponenten, mit denen die Herrschenden zu spielen wissen. Nicht so bei Sylvano Bussotti. Er gibt nahezu ausschließlich ein Diagramm der Psyche, will sagen: primär seiner eigenen seelischen Befindlichkeit. Seine Version des „Lorenzaccio“ wurde bei der deutschsprachigen Premiere an der Hamburgischen Staatsoper mehr als zwiespältig aufgenommen, ist quasi durchgefallen.

Das Bild der abtrünnigen Engel, das in Bussottis „Romantischem Melodram“ für das faulende Florenz steht, hat bei ihm noch eine Nebenbedeutung: In der mit gezeichneten Szenenteilen und Kostümentwürfen durchsetzten Partitur sind die gefallenen Engel ephebische Jünglinge. Nicht nur an dieser Stelle verbindet sich bei Bussotti Morbidität mit Schönheit, sind Sturz und Tod und Folter in eine Sphäre der Erotisierung gehoben. Im gleichen Akt nennt der zum Höfling, zur Anpassung gezwungene Bürger Maffio, während er an der ihm von Republikanern zugefügten Folter stirbt, seinen Peiniger „schön wie die Rache“. In diesem Augenblick erscheint die schöne, unnahbare Rara, leitmotivisches Symbol bei Bussotti, als Titel von Kompositionen vielfach präsent. Rara wird von einem Mann gemimt, Lorenzaccio hingegen von einer Frau. Diese Aufhebung von Geschlechtsspezifika äst kein Zufall, wobei in Erinnerung zu rufen wäre, daß bei der Uraufführung von Alfred de Mussets „Lorenzaccio“ Sarah Bernhardt die Titelrolle spielte.

Erotisierung des Todes, Musikali-sierung von Bildern: Sylvano Bussotti nähert sich Musset auf seine sehr persönliche, an seine Person gebundene Weise. Sein Melodram — gesungen, gesprochen, gemimt — ist im unmittelbaren und übertragenen Sinne eine Kostümoper. Das den Körper zur Schau stellende Kostüm ist die Nacktheit der Feinsinnigen. Überaus feingesponnen ist auch das Netz der textlichen und musikalischen Zitate. So ertönt, während der

Herzog sich in Adonis-Pose porträtieren läßt und zu seinen Füßen Höflinge und Mädchen kopulieren, ein Minnelied; der Text stammt von Walther von der Vogelweide — die Musik ist in jener Schwebe zwischen Pop und postseriellem Gestus gehalten, die vor allem von Bussottis Landsmann Berio kreiert wurde und eine Zeitlang sehr modern war. Auf das Minnelied folgt ein schnulzen-haftes französisches Chanson, von Rolf Boysen mit der Nicht-Stimme des Schauspielers derart aggressiv gesungen, daß sich Selbstparodie Bussottis vermuten ließ.

Noch einmal: Auch der Tod ist Minne. Bussotti gibt dem Mord an Alessandro eine eigene, homoerotisch bezogene Deutung. Dazu ertönt das äußerst komplizierte „Rara-Requiem“ für Vokal- und Instrumentalstimmen : Entrückung der Zeit, in die Zeit- und Geschichtslo-sigkeit. Abermals also ein Endspiel der Oper, das an den schönsten, musikalisch dichtesten Stellen konzertantes Eigenleben gewinnt und so weniger das vermeintliche „Gesamtkunstwerk“ als wieder einmal die Unmöglichkeit von „Oper“ demonstriert. Der Verselbständigung im Musikalischen — gutwillig ließe sich von einer im Absolut-Musikalischen latent aufbewahrten Szene sprechen — ist die Verselbständigung der Bilder und Situationen adäquat. Schwer zu ermitteln, warum das gute, einleuchtende Konzept des aus Paris geholten Regisseurs Wolfram Mehring derart mißlang: sein Bemühen, Sänger und pantomimisch agierende Schauspieler durch die Gemeinsamkeit des Atems als bewegendem Prinzip in den gemeinsamen Sog einer durchgängigen Dynamik zu zwingen, sie auf den permanenten Wechsel von Schock und Reaktion einzustimmen, diese Absicht verwirklichte sich nicht, schlug um in die Konvention purer „Theater“-Bilder.

Marek Janowski am Pult und Günther Schmidt-Bohländer — mit der Choreinstudierung ein Meisterstück liefernd — hatten es wohl leichter. Die Dramaturgie der Hamburgischen Staatsoper leistete Ausgezeichnetes an Klärung und Aufhellung, im Felsenstein'schen Maßstab. Wie bei der venezianischen Uraufführung im September 1972 waren Bussottis Bühnenbilder und Kostüme zu sehen. Sie gehören, ließe sich sagen, unlösbar zur Partitur. In Bildern spricht Bussotti sich aus, teilt er sein Selbst mit. Sie sind ihm Transportmittel dessen, was er die „Reinkarnation“ nennt.

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