Kleopatras Handschrift

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In Berlin wurde ein ägyptisches Dokument entdeckt, das die Handschrift der berühmtenKönigin Kleopatra trägt.

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In Berlin wurde ein ägyptisches Dokument entdeckt, das die Handschrift der berühmtenKönigin Kleopatra trägt.

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Archäologie ist der Kriminologie verwandt, wenngleich bei ihr die Spannungsmomente üblicherweise geringer auszufallen scheinen. Dann aber spektakulärer. Immerhin geht es soeben um die erste und bisher einzige erhaltene Handschrift von Königin Kleopatra. Die Umstände ihrer Entdeckung sind wahrhaft abenteuerlich. Denn ein belgischer Papyrologe aus Groningen hat in Löwen die in Berlin beheimatete Handschrift als jene der Königin entziffert.

Begonnen hat alles um die Jahrhundertwende. Da gruben die Deutschen in Ägypten. Vereinbarungsgemäß machte man mit den Ägyptern Halbe-Halbe, was der Fachjargon Fundteilung nennt. 1904 stieß eine Grabungsexpedition in Abusir el-Melek, südlich von Kairo, auf eine Mumienhülle und verschiffte diese Richtung Heimat, nach Berlin.

Schon allein die Mumienhüllen sind eine Kuriosität für sich: Denn nur kurz vor jenem Fund war man darauf gekommen, dass Papiersammeln nicht erst eine Erfindung der nachhaltigen Gesellschaft unserer Tage ist, sondern schon die alten Ägypter ihre alten Papyri sammelten und recyclierten. Es muss sogar eigene Altpapier-Entsorger gegeben haben, eine ganze Branche, die davon lebte, den Rohstoff aus der Regierungsstadt Alexandria hunderte Kilometer weit, etwa nach Abusir el-Melek, zu transportieren, mutmaßt der Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, Dietrich Wildung.

An ihren Bestimmungsorten wurden daraus unter anderem Särge für Mumien hergestellt. Man produzierte eine Art Pappmache, das Lage auf Lage, den Toten körperbetont als Sarg umgab. Als Außenschicht wurde Stuck aufgebracht, der bemalt wurde. Man war zwar schon bald auf die Bedeutung dieser Särge für die Forschung gekommen. Dass es Kartonage war, zeigte sich schon an der Außenseite, es handelte sich um Akten des Alltags aus der Ptolemäerzeit, eher seltene Stücke. Doch zog und zieht sich die Auswertung dahin. Der zweite Weltkrieg kam dazwischen, in der Zeit der deutschen Teilung lagerten die Särge in Ostberlin, und erst jetzt können sie in einem Langzeit-Forschungsprojekt nach und nach zum "Erzählen" gebracht werden.

Der Papyrusrestaurator des Ägyptischen Museums löst die einzelnen Blätter aus der Mumienhülle, glättet, reinigt und verglast sie. Eine Kollegin nimmt die wissenschaftliche Bearbeitung des Puzzles vor. So geschah es auch mit jenem Stück, das nun als ein Dokument Kleopatras identifiziert wurde. Doch in Berlin maßen ihm die Wissenschaftler erst wenig Bedeutung bei. Irgendjemand, just sein Name war nicht gut lesbar, sollte große Gratifikationen erhalten. Nichts Besonderes, ein Zeitdokument.

Doch nun beginnt der Krimi: Am 9. September dieses Jahres wurde ein betagter Wissenschaftler in Brüssel zu seinem runden Geburtstag mit einer Festschrift geehrt. Wenige Wochen später blättert der Groninger Papyrologe Peter van Minnen als erster in der in der Bibliothek von Löwen aufbewahrten Schrift und sieht sich das Bild des Papyrusfundes genauer an. Für ihn steht fest: Hier wurde ein "golden nugget" entdeckt. "Das ist ein offizielles Regierungsdokument, ich wusste sofort, dass es sich um eine wichtige königliche Verordnung handelt, die weitgehende Steuerfreiheiten schenkt", sagt van Minnen.

"So soll es geschehen" Er unterscheidet drei verschiedene Handschriften auf dem Blatt: Zum einen eine doppelte Datumszeile, dann den eigentlichen Text und schließlich einen Vermerk, der die griechischen Worte für "So soll es geschehen" enthält. Diesen Satz deutet van Minnen als von Kleopatra höchstpersönlich geschriebenen. Denn für ihn lautet der nur schlecht lesbare Name Publius Canidius, und dieser ist eine bekannte Figur der Geschichte.

Die ersten Übersetzer in Berlin hatten, da nur die ersten vier Buchstaben des Nachnamens jenes Publius identifizierbar waren, auf einen "Casioten Publius" getippt, den Bewohner eines Gebirgszuges nach Israel hin, der Publius hieß. Dem widerspricht van Minnen: Das Sigma im Namen fehle, es müsse sich um ein "N" handeln. Dann aber könne der Publius nur Canidius sein, dessen Schicksal bekannt ist, der später bei mehreren Schriftstellern, bis hin zu Shakespeare, eine Rolle gespielt habe.

Publius Canidius Crassus gehörte zum engsten Kreis um Marc Anton, den Mann Kleopatras, nachdem Caesar, mit dem sie ein Kind hatte, ermordet worden war. Canidius zog mit Marc Anton in den Orient, blieb nach dem Feldzug gegen die Parther in Armenien und drang bis in den Kaukasus vor. Als Antonius den Kampf gegen Octavian vorbereitete, gab er Canidius den Auftrag, aus Armenien das Landheer herbeizuführen.

Damals habe Kleopatra den Römer Canidius bestochen, weiß bereits Plutarch im 56. Kapitel der "Vita des Antonius" zu berichten. Kleopatra fürchtete nämlich, dass sich Marc Anton auf diesem Feldzug mit Octavia, der Schwester Octavians wieder versöhnen könnte, von der er sich wegen Kleopatra hatte scheiden lassen. Deshalb bestach die Königin den Römer, damit dieser bei Marc Anton erwirke, dass sie ihren Mann in den Kampf begleite. So geschah es denn auch.

In der ersten Euphorie hatten die Ägyptologen das Papyrusstück als jene in der Literatur festgehaltene Bestechung interpretiert, sind aber davon inzwischen abgerückt: Das Datum der Ausfertigung spricht dagegen: In der doppelten Datumszeile erscheint das Jahr 19 der Kleopatra VII und das Jahr 4 des Marcus Antonius, den die Herrscherin drei Jahre zuvor zum Mitregenten über ihr Reich ernannt hatte. Es handelt sich um den 23. Februar 33 v. Chr. Zum Kriegszug kam es aber erst zwei Jahre später.

Für die Ägyptologen zeigt dies allerdings, dass Kleopatra den vornehmen Römer stärker an ihr Reich binden wollte: "Ich würde es nicht Bestechung nennen", meint Peter van Minnen. Im Wortlaut des Textes wird dem römischen Bürger und seinen Erben gestattet, jährlich steuerfrei 400.000 Liter (10.000 Artaben) Weizen aus Ägypten auszuführen, ebenso 5.000 Keramien Wein (ein Keramion entspricht 6 bis 12 Litern) einzuführen; eine nicht unbeträchtliche Menge, allein die Weinamphoren machten mehrere Schiffsladungen aus, meint der Berliner Museumsdirektor Wildung.

"Der Text ist das Original, von anspruchsloser Hand geschrieben", konstatiert van Minnen. Ganz unterschiedlich aber die Unterschrift, jenes "So soll es sein", das weit schöner geschrieben sei. Die Königin sei ja nicht nur schreibkundig gewesen, sondern sogar literarisch tätig, so der belgische Wissenschaftler. Diese kurze Bemerkung ("ginesthoi") gilt als Unterschrift.

Intimer Einblick Vorige Woche wurde der Fund von den Forschern im Berliner Ägyptischen Museum vorgestellt. Van Minnen hatte erst am Tag zuvor erstmals das Original in der deutschen Hauptstadt eingesehen. Zurückhaltung und Zweifel schlugen ihm bei der Präsentation entgegen. Könnte es sich nicht auch um eine Kopie des Originals handeln? Van Minnen widerspricht: Dann würde es einen Briefkopf geben, auf dem der alexandrinische Beamte kundtue, dass er nun eine Textkopie schreibe. Und dass Kleopatra ein grammatikalische falsches Jota adscriptum in ihre Unterschrift eingefügt habe, gerade sie, die außergewöhnlich Schriftkundige? Diese Schreibweise sei damals üblich gewesen, kontert der Entdecker aus Belgien.

Wieso sollte man aber zufälligerweise ausgerechnet auf dieses wichtige Dokument gestoßen sein? Für die Ägyptologen vom Berliner Museum ist die Beweislage, wie in der Kriminologie, klar - nach langem Zögern, wie sie selbst zugeben: "Es sind diese Koinzidenzien in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die wir vorgenommen haben", sagt Direktor Wildung. "Viel besser kann die Quellenlage eigentlich nicht sein." Einerseits das Datum, dann der Name, der ziemlich sicher auf Canidius schließen lasse und schließlich die in der Verordnung garantierte Menge, somit ein Dokument, das der Herrscher eigenhändig unterschreiben müsse.

Für Peter van Minnen sagt der zum Mumiensarg gewordene Hoheitsakt aber noch viel mehr aus: "Es wird ein fast intimer Einblick in das Leben einer echten großen, einer arbeitsfreudigen Königin gewährt." Kleopatra sei nicht, wie die Geschichte sie gerne darstelle, eine machtgierige Nymphomanin gewesen, sondern eine gebildete und kluge Frau, die mit ihren beiden Affären zu hohen römischen Staatsmännern das eigene Reich absichern wollte. Bei jenem Dokument vermuten die Wissenschaftler, dass ihm ein Gespräch zwischen Königin und Begünstigtem vorausgegangen sei, dann wäre der Text ausgefertigt worden.

Lange konnte sich Canidius allerdings nicht an den neu gewonnenen Privilegien erfreuen: Nach der Niederlage in der Seeschlacht bei Actium zweieinhalb Jahre später begehen Marc Anton und Kleopatra Selbstmord, sie soll sich der Legende nach eine Giftschlange an die Brust gesetzt haben, Publius Canidius Crassus wird von Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, zum Tod verurteilt und hingerichtet.

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