Heute bin ich blau; blau wie der Himmel, das Meer, Kühle und Eis; wie ein Veilchen, Weintrauben und Wasser; wie ein Blaukehlchen, ein Blaustrumpf, ein Blaubart. Heute bin ich blau - wie eine Heidelbeere, eine Zwetschke, eine Kornblume.
Heute bin ich blau. Ich habe blaue Wangen, blaue Augen, blaue Lippen* Ich habe einen blauen Bart, blaue Hände, blaues Haar. Mein Leib ist voller blauer Flecken. Ich sehe alles blau. Meine Seele brennt wie Feuer in einem Eisberg. Blau ist die Treue, die Sehnsucht, die Melancholie. Blau ist die Phantasie, die Zärtlichkeit, das Unbewußte. Blau ist die Blume der Romantiker, die Dämonen, alles Übersinnliche, die Schmähtandelei. Blaue Geschichten gibt es viele, von den Kobolden bis zum Chamäleon. In blauen Märchen suchen sie die blaue Blume, das blaue Licht. Individualisten Achtung: blau signalisiert Gemeinsamkeit bis zur Nivellierung. Darum ist sie auch die Lieblingsfarbe der Uniformen: Militär, Marine, Luftwaffe, „blaue Ameisen“ - blue jeans.
Blaue Dünste von numinosen Pflanzen schaffen Visionen und Halluzinationen. Berauschende Getränke machen blau, ekstatisch, bachan-tisch; unwillig zur Rückkehr ins , Graue des Alltags. Blaue Jungfrauen leben in blauen Grotten. Blaue Hintergründe drohen mit Transzendenz. Mystische Erlebnisse färben blau.
Blau hat viele Nuancen: hellblau, dunkelblau, preußischblau, marineblau, heideblau, kornblumenblau. Wer nennt die Menschen, kennt ihre Farben? Bin ich nur heute blau, weil alle Dinge um mich ein kaltes Feuer ausstrahlen; weil ich starr werde in meiner Kälte; weil ich nur mehr tanzen will im überirdischen Licht? Oder könnte es auch die Erschöpfung, die Enttäuschung sein, die nach der Ekstase kommt?
Heute bin ich blau. Ich fliege über eine mondbeschienene Wiese, pflücke blaue Blumen und hebe blaue Steine auf. Blaue Schmetterlinge flüstern mir ihre Geheimnisse zu. Aber ich verstehe ihre Sprache nicht, weil ich blaue Lilien gekostet habe und Illusionen trinke. Wann fressen die Ketzer meine Bläue?
