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Die neue Modefarbe Blau

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Blau ist der Himmel, das Meer und -metaphorisch - die Donau in Wien, blau ist der Schal, der Blick und die Partei, nur Blau zu heißen war einst gefährlich, als die blauen Kornblumen blühten. Entdeckt voller Unschuld haben die blaue Blume die Romantiker. Doch die sind längst gestorben.

Heutzutage ist aber blau wieder modern, an Montagen besonders, sogar an Freitagen, so um das Wochenende herum, es kann, wenn dieses verlängert ist, auch ein Dienstag sein, oder ein sogenannter Zwickeltag. Die Statistiker, die sonst alles wissen, sind da freilich nicht ganz sicher. Deshalb soll es sich doch nur um ein gefühlsmäßiges oder gar verleumderisches Blau handeln, um gewisse changierende Blau-Nuancen. Das ist überhaupt interessant: daß in Österreich manche Erscheinungen, von denen längst alle wissen, daß es sie gibt, keineswegs so sicher sind wie sie scheinen.

Auf die Frage, woherdenndieBläue der Schlaufeiertage käme, assoziieren die meisten Zeitgenossen jene üble Nachbefindlichkeit, die folgt, wenn Blau keine Farbe sondern ein Zustand ist. Blau hat in der Umgangssprache eine eindeutige Definition, da mag das Teströhrl noch so tief ergrünen. Vielleicht, so meinen einige Tiefeninterviewte, kommt dieses Blau auch vom Blinklicht der Einsatzfahrzeuge.

Daß sich die Redensart vom „blaumachen” und „blau sein” in den historischen Wurzeln ganz anders darstellt, sollten die Diskutanten wissen, die sich derzeit so heftig darüber ereifem. „Blau” zu machen war nämlich einst eine notwendige und völlig legale Phase im Arbeitsprozeß.

Der Ursprung liegt in der alten, gewerbsmäßigen Textilfärberei. Um den begehrten Blaudruck herzustellen, wurde der Küpenfarbstoff Indigo verwendet. Dieser entwickelt seinen Farbton erst unter Sauerstoffzutritt. Aus diesem Grunde wurden die zu färbenden Textilien nach dem Küpen vor das Färberhaus an die Luft gehängt.

Es dauerte immerhin einen Tag, ehe das Blau intensiv genug war. Während dieser für alle Vorübergehenden und Beobachtenden durch den bunten Aushang signalisierten Zeit, trat im sonst emsig umtriebigen Färberhaus zwangsläufig eine Pause ein.

Wie auch immer: Wer den Färbermeister oder einen seiner Gesellen kontaktieren wollte, ohne sich den Gefahren von Farbfässern und beizenden Dämpfen auszusetzen, der nutzte die Gelegenheit des so deutlich angezeigten „Blaumachens”. In den Büchern der Färberzünfte ist das alles recht deutlich und plastisch beschrieben. Das alte Handwerk war zwar nicht nach heutigen Vorstellungen durchrationalisiert, aber es hatte einen zweckmäßigen Rhythmus, in dem die Freizeit nicht wie heute im Gegensatz zur Arbeit stand. Wahrscheinlich war dieser Rhythmus mit seinem planmäßigen „Blaumachen” auch so menschenfreundlich, daß einer gar nicht auf die Idee kam, gewissermaßen außerplanmäßig „blau” zu machen.

Soweit die Geschichte. Mag sein, daß sie wenig zur Diskussion beiträgt. Und mag auch sein, daß sie auch noch ein wenig technokratisch ist. Denn das schönste Blau, so erzählte mir ein Poet, der es wissen muß, kommt weder aus Alkohol noch Indigo. Es ist die Farbe der „blauen Stunde”, wenn der Tag sich dem Dämmer neigt, die Stunde Rilkes und Trakls, die Stunde der blauen Gestalten, der magischen Kirchenfenster, die Stunde des blauen Schnees und der blauen Schatten, der blauen Stimmen und Klänge, die Stunde Debussys und Chagalls. Was wissen die Blauen und die Blaumacher schon davon!

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