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Wahlkampßied zum Erröten

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Ich werde rot. Rot wie Blut, Feuer und Glut - und die Bose. Bot wie ein Sonnenuntergang, ein Ziegeldach, ein Lippenstift. Rot wie ein Blitz, eine Verkehrsampel, die roten Brigaden.

Ich werde rot. Rot wie eine Kirsche, eine Himbeere, ein Apfel. Rot wie eine rote Fahne, ein roter Stern, das Rote Kreuz.

Rot wie Rotwein, ein Rotstift und Rotkäppchen.

Heute bin ich rot. Ich habe rote Wangen, rote Augen, rote Lippen. Ich habe rote Ohren, eine rote Nase, rotes Haar. Meine Füße sind rot angelaufen, ich sehe rot, meine Seele brennt wie Feuer.

Rot ist die Liebe, alles Leibliche, und Irdische, die Mutter. Rot ist die Lieblingsfarbe der Kinder bis zum neunten Lebensjahr.

Rot ist die Farbe des Gerichts, des Krieges und der Ketzerverbrennung. Alle Göttinnen und Hexen sind rot, alle Opfer sind rot, die Sünde und der Vulkan.

Rote Geschichten gibt es viele: vom Rotkäppchen bis zur Revolution. Christen und Juden glauben an einen Gott, der sein auserwähltes Volk durchs Rote Meer geführt hat.

Ohne Rot gibt es keine Religion, kein Christentum. Glühende Engel haben Jesaja zum Propheten gemacht. In einem feurigen AVagen ist Elia in den Himmel gefahren.

Rot ist der Teufel, der Satan, alles Diabolische. Und der Teufel ist der Herr aller kleinkarierten, rachsüchtigen Frommen.

Rot ist das Blut Christi, manche Christen trinken es täglich -Feministinnen ziehen das Blut der Maria vor.

Rot waren die feurigen Zungen, die zu Pfingsten an den ersten Aposteln geleckt haben.

Rot ist die Blutspur der Märtyrer durch die Geschichte.

Heute werde ich rot, weil mir schrecklich heiß ist, weil ich glühe vor Erregung, weil meine Wut herausmuß, weil mich die Visionen schütteln.

Alles rund um mich fängt rot zu leuchten an. Ich gehe durch den roten Schnee, setze mich in ein rotes Cafehaus; ein roter Ober bringt mir rotes Schlagobers auf dem roten Kaffee; aber ich verstehe seine roten Worte nicht, weil ein roter Pianist ein rotes Lied spielt.

Und ich bin längst errötet.

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