Das Feuer Gottes und der Partei

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Die herausragende Rolle der Farbe Rot in der russischen Kunst beleuchtet eine Ausstellung im Bank Austria Kunstforum Wien.

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Die herausragende Rolle der Farbe Rot in der russischen Kunst beleuchtet eine Ausstellung im Bank Austria Kunstforum Wien.

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In Rußland ist das Gute und Schöne rot - und das gilt beileibe nicht nur für die noch immer zahlreichen Anhänger des Kommunismus. Denn das Wort "krasnyi" bedeutet im Russischen nicht nur "rot", sondern auch "schön", "gut" und "wichtig". Allein daran läßt sich ermessen, welchen herausragenden Stellenwert Rot in dem zur Zeit krisengeschüttelten Land besitzt. Jahrhundertelang spielte Rot die Hauptrolle in Kunst, Religion und weltlicher Herrschaftssymbolik. Die Ausstellung "Rot in der Russischen Kunst", die derzeit im Bank Austria Kunstforum Wien zu sehen ist, spannt einen Bogen über sechs Jahrhunderte russischer Kunst im Zeichen der Farbe Rot, von altrussischen Ikonen und Volkskunst bis hin zur russischen Avantgarde und kommunistischer Propagandakunst. Der Großzügigkeit des Russischen Museums St. Petersburg ist es zu verdanken, daß zahlreiche zentrale Werke der russischen Kunst bis 29. November in Wien zu bewundern sind.

Der Kult um die Farbe Rot wurde am Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausends aus dem byzantinischen Reich importiert. Das in einem geheimen Verfahren aus Purpurschnecken gewonnene Rot galt in Byzanz als Inbegriff des Kostbaren und seine Verwendung war dem Kaiserhaus vorbehalten. Als im Jahre 988 der Kiewer Großfürst Wladimir dem byzantinischen Kaiser Basileios II. gegen die Bulgaren zu Hilfe kam, mußte dieser dem Großfürsten seine Schwester Anna (die Purpurgeborene) zur Frau geben. Damit hielten das byzantinische Hofzeremoniell und die byzantinische Herrschaftssymbolik im Kiewer Reich Einzug. Rot wurde auch in Rußland zum Attribut der Herrscherdynastie, zum Symbol der absoluten Herrschaft.

Als einzige Bedingung für die Hochzeit mit der Kaiserschwester mußte sich Wladimir taufen lassen und das Christentum zur Staatsreligion erheben. Mit dem orthodoxen Christentum hielt auch die Ikone, das orthodoxe Andachts- und Gedächtnisbild, mitsamt seinem Form- und Farbkanon Einzug in Kiew. Die Ikonenmalerei gehorcht streng vorgegebenen Regeln, Form und Farbe sind nicht von der Wirklichkeit, sondern von einer verbindlichen Symbolik bestimmt. Rot steht in der Ikonenmalerei sowohl für das Blut Christi als auch für das göttliche Feuer - im Gegensatz zur westlichen Kunst, wo stets Gold für das Feuer stand. So ist in der orthodoxen Kunst der Kopfumhang der Muttergottes stets Purpurrot, da sie vom heiligen Geist gesegnet ist, der sich seinerseits im göttlichen Feuer materialisiert.

Über die altrussische Ikonographie fand Rot nicht nur Eingang in die Kunst, sondern auch in Brauchtum und Volkskunst. Neugeborene wurden auf rote Tücher gelegt, Särge mit roten Tüchern ins Grab hinabgelassen. Rot war die Farbe des Festtages und der Freude. Das traditionelle Brautkleid war in Rußland rot und nicht weiß. Erst mit der Verwestlichung der russischen Kultur unter Zar Peter dem Großen (1672 bis 1725) setzte sich zuerst im Adel, dann in der breiten Bevölkerung das - der Orthodoxie an sich fremde - katholische Weiß als Zeichen der Unschuld gegen das freudige Rot in der Hochzeitstracht durch.

In Folge der unter Peter eingeleiteten Verwestlichung verlor die Farbe Rot an Bedeutung. Im 18. Jahrhundert und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielte Rot in der Malerei keine herausragende Rolle mehr. Eine Ausnahme waren die Romantiker in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Für sie bedeutete Rot das Brennen der Seele, die innere Flamme. In Fjodor Mollers berühmtem, 1845 fertiggestellten Porträt von Nikolaj Gogol zum Beispiel leuchten des Dichters Gesicht und Lippen purpurn, flammender Ausdruck des schöpferischen Geistes.

Eine Renaissance erlebte die Farbe Rot kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert. Die russischen Maler besannen sich auf die Tradition und die kulturellen Wurzeln des Landes - und damit auf die Bedeutung der Farbe Rot. Ausgerechnet die Ikonenmalerei avancierte zum Vorbild der russischen Moderne: "Ihren Ursprung hat die russische Malerei in den Ikonen", proklamierte der Maler Alexander Rodtschenko. Denn eines haben die sich vom Gegenständlichen abwendende Moderne und die traditionelle Ikonographie gemein: Beide streben nicht nach Abbildung der äußeren Wirklichkeit, sondern stehen für eine andere Wirklichkeit. "Das Symbol ist alles, die reale Wirklichkeit nichts", bringt Elisabeth Hersch in ihrem Beitrag zum Ausstellungskatalog die Gemeinsamkeit auf den Punkt. Auch Kasimir Malewitsch griff bei seinem "Roten Quadrat" (1915) auf die Ikone zurück: Mit diesem Meisterwerk ist es Malewitsch gelungen, ein an Einfachheit und Abstraktion nicht zu überbietendes Symbol für eine jahrhundertealte Tradition und Geschichte zu finden.

In der Folge interpretierten die russischen Avantgardisten Rot sehr individuell. Dem bunten Treiben setzte Stalin 1934 ein Ende: Allen Bereichen der Kunst wurde der "Sozialistische Realismus" verordnet. Rot, schon unter Lenin zur Staatsfarbe erhoben, wurde endgültig vom Kommunismus usurpiert. Die Farbe der Herrscher war sie seit jeher, ihre anderen Konnotationen wurden umgedeutet: Aus dem göttlichen Feuer wurde jenes der allmächtigen Partei, aus dem Blut Christi wurde das Blut der Märtyrer und Helden der Revolution. Lenin wurde in Propagandadarstellungen als Erlöser präsentiert, der vor der roten Fahne in hellem Licht erstrahlt. Sogar sein Mausoleum ist aus rotem Stein.

Bis 29. November Freyung 8, 1010 Wien

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