Eine Kirche - auf die Brust tätowiert

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Was die Kommunisten einst verboten, spielt heute in Rußland wieder eine große Rolle: Religion kehrt auch in Symbolen zurück.

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Was die Kommunisten einst verboten, spielt heute in Rußland wieder eine große Rolle: Religion kehrt auch in Symbolen zurück.

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Schon 73 Jahre vor der Revolution in Rußland hatte Karl Marx erklärt, daß "Religion das Opium des Volkes" wäre. Nach der Revolution füllten die sich auf Marx berufenden Bolschewiki Straßen und Plätze mit ihren Parolen und Symbolen. Christliche Motive und Symbole waren unerwünscht, ganz gleich wo sie auftauchten. Die Gottlosenkampagne der zwanziger, der Terror der dreißiger Jahre verbannten die christlichen Symbole aus der Öffentlichkeit, riß die Kreuze von den Kirchen, die in Werkstätten oder Clubs verwandelt oder gesprengt wurden. Eine Zeichnung von Krinski aus den zwanziger Jahren zeigt eine Kirche, die zum Maschinensaal gemacht worden ist. Dort, wo einst der Priester stand, steht ein Agitator. Die Köpfe der Engel sind durch Transmissionsriemen ersetzt (Abb.1).

Während des Krieges, als Stalin die Unterstützung der Gläubigen brauchte, durften orthodoxe Heilige dargestellt werden, die für Rußland gekämpft hatten. Chruschtschow behielt diese Kriegerheiligen bei, begann jedoch 1958 mit einer neuen Verfolgung der Religionsgemeinschaften, Tausende von Kirchen wurden wieder geschlossen.

Revolutionäre Ikonen Chruschtschows "Entstalinisierung" weichte jedoch den Marxismus-Leninismus auf. Intellektuelle wandten sich der Geschichte zu und stießen dabei auf die Rolle des Christentums in der Geschichte. Einige begannen damit, Ikonen zu sammeln. Stalin hatte in den dreißiger Jahren die künstlerischen Buchzeichen, die Exlibris, unterdrücken lassen. Wahrscheinlich war ihm diese Kunst in einer Privatnische verdächtig, zumal häufig religiöse Motive verwendet wurden. Nach Stalins Tod tauchten wieder Exlibris auf, die Künstler nutzten religiöse Motive.

Zur Zarenzeit waren in den Dörfern Palech, Mstjora und Cholui Ikonen gemalt worden. Nach der Revolution mußten sich die Maler auf Lackmalerei umstellen, auf revolutionäre Motive oder Märchen. 1968 veröffentlichte der ehemalige Ikonenmaler N. Sinowjew eine Handreichung für die Schüler in Palech. Er empfahl ihnen, sich mit der einstigen Ikonenmalerei zu befassen und reicherte sein Buch mit zahlreichen Ikonenvorlagen an.

Im gleichen Jahr erschien auch eine sowjetische Briefmarkenserie mit Abbildungen von Kirchen. Dies war jedoch nicht zur Wiederbelebung der Erinnerung gedacht, sondern als Verherrlichung der künstlerischen Fähigkeiten des russischen Volkes. So stand dann unter dem Markenbildchen "Architekturdenkmal aus dem Jahre ..."

1987/88 ging die Religionsverfolgung zu Ende. Wie stark jedoch noch die offizielle Ablehnung christlicher Motive war, zeigte eine Zeichnung in der "Prawda" (26. 8. 88) im Jahre der Millenniumsfeier der Taufe der Kiewer Rus. Zu sehen war eine Szene aus dem alten Kiew, doch waren die Kirchenkuppeln mit den Kreuzen abgeschnitten. Der Prozeß ließ sich jedoch nicht mehr aufhalten. Beim Plakatwettbewerb im Jahre 1989 "Für den Frieden auf der Erde" wurde ein Plakat des Ehepaars Gulewski ausgezeichnet. Es zeigte einzig und allein ein weißes Kreuz vor dem schwarzen Hintergrund der Vergangenheit.

Und im Jahre 1990, als das Religionsgesetz verkündet wurde, brachte die für die Auslandspropaganda gemachte Zeitschrift "Sozialismus: Theorie und Praxis" (Nr. 7/90) eine Illustration zum Artikel "Staat und Kirche. Neue Beziehungen": Eine Kirche mit Kreuz überragt die moderne Welt der Technik (Abb. 2). Und 1991 konnte man in den Straßen statt "Ruhm der KPdSU" lesen "Wir beglückwünschen Brüder und Schwestern herzlich zum christlichen Osterfest."

Briefmarken mit Ikonendarstellungen erschienen (1992), Kosmonauten hatten Ikonen mit in den Weltraum genommen, der Mönch und Ikonenmaler Sinon war mit einem Staatspreis ausgezeichnet worden. Im einstigen Ikonenmalerdorf Palech wurde 1992 eine ganze Ikonenserie"Das Leben Jesu Christi" gemalt und als Postkarten zum Verkauf angeboten. Selbst das einstige wichtigste atheistische Journal "Wissenschaft und Religion" brachte auf der Titelseite mehrfach Ikonen.

1993 dekretierte Präsident Jelzin ein neues Staatswappen. Es war ganz ähnlich wie das einstige Wappen zur Zarenzeit: Im Brustschild des Wappens der heilige Georg. Die bereits erwähnte Zeitschrift "Wissenschaft und Religion" veröffentlichte darauf zwei Entwürfe von V. Gorelowa (Nr. 12/96), die ein Wappen mit der Gottesmutter als Schützerin Rußlands vorschlug (Abb.4).

Jelzin mit Kerze Alle diese Veränderungen, die Wiederanbringung von Kreuzen, die Wiedererrichtung der von Stalin gesprengten Christus-Erlöser-Kathedrale, die Fotos von Jelzin mit einer Kerze in der Hand dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Hinwendung zum Christentum nur wenig sichtbare Erfolge erbracht hat. Es wird gelogen, gestohlen, gemordet. Die Kurzformel für Sowjetmensch "Sowok" wird vielfach für die neuen Russen verwendet, sie bedeutet gleichzeitig "Kehrschaufel".

So ist es nicht verwunderlich, daß nach wie vor ausgerechnet bei den Kriminellen religiöse Motive für Tätowierungen sehr beliebt sind - allerdings mit ganz anderer Bedeutung. Wer zum Beispiel auf seiner Brust eine Kirche mit mehreren Kuppeln eintätowiert hat, der gibt mit der Anzahl der Kuppeln an, wieviele Jahre er absitzen muß (Abb. 5).

Leider werden religiöse Motive auch in der politischen Auseinandersetzung verwendet, so etwa im Kampf gegen Juden, Freimaurer, Ökumene. Die meisten Kommunisten - nicht alle - erklären heute, sie wollten Religionsfreiheit. Einige behaupten sogar, sie seien die eigentlichen Christen. Bei Demonstrationen kann man nebeneinander Banner mit Lenins Kopf und Banner mit einer Christusikone sehen. Es gibt sogar eine Gruppe "Christen für den Kommunismus". Wenn sie konsequent wären, müßten sie der Entfernung von Lenins Mumie aus dem Mausoleum zustimmen, der ja die Bekämpfung aller Religionen in Rußland eingeleitet hat.

1998 hat Jelzin den von Peter dem Großen begründeten Orden vom heiligen Andreas wieder ins Leben gerufen. Er zeigt den Märtyrer am Kreuz. Dagegen haben die Kommunisten bisher nicht protestiert, aber 1999 hat die kommunistische Fraktion in der Duma erneut versucht (wie schon 1995), das von Jelzin dekretierte Staatswappen mit dem heiligen Georg durch das Sowjetwappen mit Hammer und Sichel zu ersetzen. Und selbstverständlich haben sie 1998 nicht an der Beisetzung der Gebeine der Zarenfamilie in der Peter-Pauls-Kathedrale teilgenommen. Die ermordete Zarenfamilie wird von der russisch-orthodoxen Auslandskirche als heilig verehrt. Wie einer Pressemeldung zu entnehmen ist (Iswestija 19. 3. 99) will das Moskauer Patriarchat ebenfalls in Kürze Zar Nikolaus II. kanonisieren.

Der Autor ist emeritierter Professor für Publizistik und Politikwissenschaft.

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