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Randhemerkungen zur woche

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EIN FÜNFTES LOHN- UND PREISABKOMMEN ist im Anzug. Die Gewerkschaften haben ihre Forderungen bereits vorgebracht, eine eigene Konferenz der sozialistischen Betriebsobmänner meldete für die beginnenden Verhandlungen ihre Postulate und Grundzüge gesondert an. In der langen Liste dieser „Grundsätze“ verlangt folgender Absatz noch eine Erklärung.

„Keine Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit des österreichischen Gewerkschaftsbundes oder der einzelnen Gewerkschaften in bezug auf die außerhalb dieser Regelung fallenden Preise, so daß für jede einzelne Gewerkschaft die volle Möglichkeit bleibt, zur Abgeltung eventueller direkter oder indirekter Preissteigerungen selbständige Lohhaktionen durchzuführen.“

Wie ist das? Der Gewerkschaftsbund als die legitime Vertretung der gesamten Arbeiterschaft trifft Vereinbarungen mit den Arbeitgebern. Dann ist aber noch kein Arbeitsfriede, sondern jede Gewerkschaft hat „volle Handlungsfreiheit, außerhalb des neuen Übereinkommens selbständige Lohnbewegungen durchzuführen“? Das ivürde bedeuten, daß der neue Lohn- und Preispakt sofort durchlöchert werden könnte. Es muß doch klar sein, daß mit einer solchen dauernden Verwirrung des Preisgefüges am allerwenigsten den Interessen der Arbeiterschaft gedient wäre. *

WIE HERR JUSTIZMINISTER TSCHA-DEK in einer burgenländischen Versammlung seinen Zuhörern jüngst versichert hat, ist es „mit dem Führungsanspruch der Volkspartei in kulturpolitischen Fragen endgültig vorbei“; im besonderen nannte der Minister das Konkordat und die „konfessionelle Schule“ und fügte an, es sei nun der Weg freigelegt, auch brennende Probleme der Kulturpolitik sachlich und objektiv zu lösen“. Dieser Satz enthält ein Versprechen des Herrn Justizministers, das vermerkt sei. Man darf nun wohl erwarten, daß Doktor Tschadek den „freigelegten Weg“ bald betritt. Viel wird darauf ankommen.

DIE ENTRÜMPELUNG DES ÖFFENTLICHEN LEBENS VOM WAHLSCHUTT ist nicht nur ein Anliegen der großen Politik. Auch im kleinen können wertvolle Beiträge zu einer schnellen Rückkehr zur ernsten Arbeit des Tages beigesteuert werden. Jene Bewohner der Bundeshauptstadt, die sich bemühen, von ihren Häusern und Geschäften die Wahlaffichen, mögen sie nun für den einen oder den anderen Mann geworben haben, zu entfernen, geben ein Beispiel, wie man eine bewegte, allzu bewegte Phase der österreichischen Innenpolitik liquidieren hilft. Um so unverständlicher ist es, daß selbst über eine Woche nach dem entscheidenden Wahlgang noch die Propagandatürme und Riesenphotomontagen, die gleich Fossilien längst vergangener Zeiten im Stadtbild herumstanden, noch nicht entfernt waren. Wo sie doch so gar nicht dem österreichischen Geschmack entsprachen, sondern an volksdemokratische Vorbilder unangenehm erinnern! Die Wahlaufrufe, die Bitten, Beschwörungen und Mahnungen in den Schaukasten der Parteien scheinen freilich dazu verdammt, erst unter der Sommersonne allmählich zu vergilben und unleserlich zu werden...

IM JAHRE 1918 MANIFESTIERTE DIE TSCHECHOSLOWAKEI ihre demokratische Zuverlässigkeit unter anderem durch den Verzicht auf Ordensverleihungen an Inländer; lediglich an Ausländer wurden Dekorationen vergeben. Die dritte Republik füllt nun die Lücke freigebig aus: eine Fülle von Orden und Ehrenzeichen, Titeln, Auszeichnungen und Staatspreisen ergießt sich auf Generäle wie Arbeiter, Forscher wie Künstler. Unterrichtsminister Nejedlf, der im Oktober v. J. dem Ministerrat den Entwurf einer Regierungsverordnung über die Staatspreise vorgelegt hatte, ist nun der erste Laureat des Staatspreises 1. Klasse für den ersten Band seiner Geschichte des tschechischen Volkes geworden. Weitere Preise in der Höhe von je 20.000 KU wurden auf den Gebieten der verschiedenen exakten Wissenschaften verliehen, andere zahlreiche Staatspreise aber auch für Leistungen in Literatur, den schönen Künsten, der dokumentarischen Kinematographie und der Gebrauchsgraphik. Die erfolgten Auszeichnungen veranschaulichen, was man heute in der Tschechoslowakei für fördernswert hält: die beiden Staatspreise für Plastik wurden für eine Medaille mit dem Porträt Stalins und für eine Büste Lenins verliehen, Jarmila Glazarovd erhielt den Staatspreis für künstlerische Prosa für ihren Roman „Leningrad“, die drei Lyrikpreise erhielten Vitlzslav Nezval für sein Gedicht „Stalin“, Jan Kostra für das Gedicht „An Stalin“ und Stanislav Neumann für sein „Lied an Stalin“. Forscher und Künstler können sich jetzt also auch mit dem weißblau eingefaßten, lorbeergezierten roten Band schmücken und stehen den „Baumeistern des Sozialismus“, den Trägern des „Ordens der Arbeit“ und des „Ordens der Republik“ nicht mehr viel nach. Das blaue, den Arbeitsanzug symbolisierende Band des „Ordens der Republik“ wurde erstmalig am heurigen 1. Mai an 29 Arbeiter „für außerordentliche Verdienste um den Aufbau der Republik, insbesondere ihrer Friedensbestrebungen“, verliehen, der „Orden der Arbeit“, der rote, fünfzackige Sowjetstern am blauen Band, an 82 Arbeiter für hervorragende Arbeitsleistungen. Der „Orden des Sozialismus“, der für „ganz außerordentliche Verdienste um den Sieg des Sozialismus in der Tschechoslowakei“ vorgesehen ist. und die höchste Auszeichnung, der Goldene Stern des „Helden der Arbeit“, warten noch auf besonders Würdige. Vorausgegangen war selbstverständlich die Armee, die Dezember vorigen Jahres ihre Auszeichnungen eingeführt hat, die je nach der Waffengattung die Aufschrift tragen: „Mustergültiger Schütze“, „Mustergültiger Artillerist“ usw. bis zum „Mustergültigen Koch“. Manche der Prager Maßnahmen mögen übertrieben sein — bestehen bleibt die Tatsache, daß außergewöhnliche Leistungen Anerkennung finden und die Pflege der Wissenschaften und Kunst von staatlicher Seite eine großzügige, wenn auch politisch bestimmte Förderung erfährt die anderwärts unter anderen Voraussetzungen einer Nachahmung durchaus wert wäre.

DIE RASSENTHEORIE IM STAATSLEBEN, deren Praxis in Europa während der Hitlerherrschaft zu einer der blutigsten Katastrophen der Geschichte geführt hat und deshalb heute vielen als überwunden gilt, erhält in Südafrika unter der Regierung Malan eine so lebhafte Erneuerung, daß sich die große katholische Arbeiterorganisation der südafrikanischen Jo-cisten gezwungen sieht, in einer Denkschrift vor der ganzen Welt dagegen Anklage zu erheben. Nach diesem Dokument besitzen die 75 Prozent Eingeborenen unter den 12 Millionen der Gesamtbevölkerung heute nur mehr 15 Prozent des Landes; unfähig, auf ihren Zwergbesitzen den Lebensunterhalt zu finden, sind die Eingeborenen, mehr als die Hälfte Familienväter, gezwungen, ihre Familien zu verlassen und in der Industrie oder in Bergwerken sich zu verdingen. Das bedeutet unter den bestehenden Umständen, an Stelle des Verhungerns die Sklaverei zu wählen, denn nach den bestehenden Gesetzen müssen sie zu tief gedrückten Löhnen arbeiten mit der Begründung, daß sie ja in ihren Eingeborenenreservaten einen Landbesitz haben. Der Bericht der katholischen Arbeiterorganisation stellt eine tatsächlich im Gesetzeswege vielfach erfolgte rassische Diskrimination der eingeborenen Arbeiterschaft unter der Herrschaft der nationalistischen Regierung Malan fest, ein Zustand, der in der Folge die erschreckende Zunahme der Kriminalität der jugendlichen Eingeborenen zu verantworten habe. Gegenwärtig steht die Hälfte der zu Gefängnisstrafen verurteilten Eingeborenen in einem Alter unter 21 Jahren.

WENN DIE REUTERMELDUNGEN aus Nepal, einem Grenzlande Tibets, richtig sind, dann ist bereits das konservativste Land der Welt von der jüngsten kommunistischen Großmacht, von China, geschluckt worden. Als vor zwanzig Jahren die Amerikanerin Alexandra David Neel, die wie kaum ein anderer Reisender in die Geheimnisse dieses „verbotenen Landes“ eingedrungen war, in ihren Büchern so manchen. Schleier von diesem rätselhaften Staatswesen und seinem Volke wegzog, da erschien Tibet, diese Mönchsrepublik, noch so weltentrückt, als müsse es noch Jahrhunderte dauern, um sie der Gegenwart anzunähern. Und heute ist plötzlich wie von einer Riesenhand die ganze Vergangenheit dieses buddhistischen Staatsgebildes hinweggewischt; sie hinterläßt nur Schattengestalten und Namen. Der Dalai Lama existiert nur mehr von den Gnaden der kommunistischen Machthaber Chinas, ein Scheinherrscher, dem die äußeren Tribute seines Amtes gelassen worden sind, aber schon ist die kommunistische Statthalterschaft seines Gegners, des Pantschen Lama, daran, sich in Lhassa zu etablieren und eine chinesische „Volksbefreiungsarmee“ ist bestimmt, Tibet von seinen „imperialistischen Einflüssen“ zu befreien. Ohne Umschreibung: ein Hirtenvolk hat seine Freiheit verloren.

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