Langeweile, Sex & Lügen

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Aber bei den Politikern werden andere Maßstäbe angelegt als bei den Pop-Stars, auch andere als bei den Nachbarn. Die Unmoralität der Gesellschaft braucht ihre Sündenböcke, an denen man sich abreagieren kann. Nur müßten die Politiker längst wissen, daß sie kompensatorisch auch noch für das schlechte Gewissen der Bürger herhalten müssen. Sie sollen so sein wie alle, aber sie sollen auch viel besser sein. Und in "heiligen Hallen" wie dem Weißen Haus darf schon gar nichts Unmoralisches geschehen.

In dem anonym erschienenen Roman "Primary Colors", als dessen Autor letztlich ein politisch versierter Newsweek-Journalist aufgedeckt wurde, wird die genialisch-unschöne Lebensweise eines Präsidentschaftskandidaten geschildert. Clinton und Dutzende Personen aus der politischen Szene wurden von Beobachtern sehr genau identifiziert. Die sonderbare Mischung aus Faszination und Amoralität, die dem Kandidaten zu eigen ist, macht das Hauptthema des Buches aus. Aber es wird auch die Unmenschlichkeit des politischen Daseins in Spitzenpositionen geschildert, das eine Lebensenergie erfordert, die selbst die politischen Berater oft nicht aufbringen - wo man zum Abschluß eines Sechzehn-Stunden-Tages noch um zwei Uhr früh bei McDonald's herumkugelt, weil man nicht schlafen kann, aber um sechs Uhr natürlich wieder auf Achse muß.

Die zerstörerische Kraft des politischen Lebens ist an der physischen Erscheinung von Politikern, die schon lang im Geschäft sind, abzulesen, an ihrem unsteten Blick und ihren zitternden Fingerspitzen. Die physische und psychische Belastung mag alkoholische Exzesse ebenso plausibel machen wie sexuelle Ausrutscher.

Aber sie entschuldigt nichts, und sie ändert nichts an der Tatsache, daß sich Clinton mit seiner Schwindelei und seinen Ausreden selbst ins Knie geschossen hat. Er ist halt - als Persönlichkeit - doch nur eine mediokre Figur: Hundstreicheln und Händchenhalten mit Hillary sind unzureichende Gegenstrategien. Immerhin: Langweilig ist es doch nicht geworden. Da wird sich eher Al Gore, der viel kompetentere Mann, als Langweiler qualifizieren, wenn er Clinton ablösen sollte. Clinton wollte als Präsident in die Geschichte eingehen. Dies scheint ihm zu gelingen, aber auf andere Weise, als er gedacht hatte.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Direktor des Technikum Joanneum (steirische Fachhochschulstudiengänge) und Professor für Soziologie an der Universität Graz.

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