Leidenschaft, die Leiden schafft

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Mehr Komik als Tragik: das Burgtheater und sein Direktor Matthias Hartmann gastieren bei den Salzburger Festspielen mit Jean Racines 1677 geschriebenen Tragödie „Phädra“.

Die letzte Schauspielpremiere bei den diesjährigen Festspielen sollte Salzburg noch einmal großes Schauspieler-Theater bescheren. Burgtheaterintendant Matthias Hartmann, der es versteht, noch die abgründigsten Stoffe mit einer virtuosen Leichtigkeit in Szene zu setzen, inszeniert auch Jean Racines 1677 geschriebenes Drama über verbotene Liebe und Eifersucht ohne großes Interesse an der tragischen Verstrickung des Personals, stilsicher und mit einem Hang zur – unfreiwilligen? – Komik. Das hat vor allem einen Grund oder vielmehr einen Namen: Sunnyi Melles.

Denn Melles spielt Phädra fast so, wie sie am Burgtheater die unaufhörlich parlierende Millionärin in Thomas Bernhards Stück „Immanuel Kant“ mimt: mehr als überspannte, vernachlässigte, neurotische Gattin, die gewohnt ist zu bekommen, was sie will, denn als große tragische Frauenfigur, deren Abstammung ihr eine gefährliche Leidenschaft verhieß – sie ist Tochter von Minos und Pasiphaë, die sich als Strafe für ein nicht dargebrachtes Opfer nach Poseidons Willen unsterblich in einen Stier verliebte und mit ihm den Minotaurus zeugte.

Die Krankheit Liebe, von der bei Racine die Rede ist, ist in Melles Deutung kein Verhängnis, nicht etwas, was dieser Frau widerfährt, das dunkel und unverstanden ihr Schicksal ist, woran sie in Raserei verbrennt.

Phädra plagt ein inzestuöses Verlangen

Wenn sie ganz am Anfang zu lautem Meeresrauschen auf die ganz schwarz-weiß gestaltete Bühne von Johannes Schütz gespült wird, taumelt sie mehr, als dass sie geht. Denn Phädra plagt ein inzestuöses Verlangen, sie liebt ihren Stiefsohn Hippolytos. Theseus, ihr Mann, ist auf Reisen und es gibt die Kunde von seinem angeblichen Tod, was Raum gibt, das Verdrängte aus sich heraustreten zu lassen.

Wenn sie gepeinigt vor verzehrendem Begehren, dem Wahnsinn nahe, ihrer kauzigen Amme Önone (Therese Affolter) diese verbotene Liebe sehr umständlich gesteht und dabei immer wieder die großen Augen unter dem wirren Blondhaar verdreht, weil sie erschrickt über die haltlosen Gefühle, über die unbotmäßige Leidenschaft, zu der sie fähig ist, so ist das nie ganz ohne Komik. Bisweilen hat man den Eindruck, Melles spiele noch immer die Millionärin aus Bernhards Stück, die jetzt nur Phädra spielt.

Dabei gerät der Stoff aber zusehends zum geschwätzigen Melodram. Das tut dem Abend nicht nur gut. Denn „Phädra“ ist, obwohl ein Stück über die Liebe, die sich nicht abwenden lässt, die sich nicht einmal verschweigen lässt, auch ein Stück über das Schweigen, über das nicht schweigen können und über falsches Schweigen: das versuchte Verschweigen ihrer Leidenschaft gegenüber der Amme, das mehr verbergende als offenbarende Liebesgeständnis gegenüber Hippolytos und schließlich dessen selbstmörderisches Verschweigen der Wahrheit aus Anstand gegenüber dem Vater, der das auch gleich als Schuldeingeständnis auslegt.

Das ganze Register ihres schauspielerischen Könnens zieht Melles während des gut eineinhalbstündigen Abends, wobei ihr Können eben eher im komischen Fach zu liegen scheint. Liebreizend sind ihre Gesten, süßlich ist ihre Stimme, wenn sie der Amme vom Stiefsohn erzählt, geifernd wenn sie ihm ihre Geilheit gesteht, lüstern und fordernd ist ihr Griff nach ihm. Dann kippt sie unversehens ins Hysterische, als dieser die Liebe nicht erwidert, sie zurückweist. Händeringend sucht sie nach Fassung und Halt, wenn Hippolytos ihr seinerseits die Liebe zu Arikia (Sylvie Rohrer) gesteht.

Kurzweilig, vergnüglich, aber zu leicht

Philipp Hauß als Hippolytos wirkt auch nicht unkomisch, wie die Unschuld selbst und erinnert an Dustin Hoffmann aus dem Film „The Graduate“, ein überforderter Collegeboy, dem die Liebe ein noch fremder Kontinent ist. Paulus Manker als Theseus ist ganz ein Mann des Krieges. Wie ein Feldherr betritt er die Bühne, vertraut mit den Abgründen der Menschen. Mit der Schlechtigkeit der Welt auf du und du, scheint ihm die Tat des Sohnes nur allzu wahrscheinlich. Wenn Hans-Michael Rehberg als Theramenes zum Schluss das grausige Ende erzählt, wirkt das wie aus einem anderen Stück. Denn bisher war es durchaus kurzweilig und vergnüglich. Aber auch zu leicht.

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