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Das Landesmuseum Joanneum in Graz wirft 120 Blicke auf die magnetisierende Kunstfigur.

Graz pflegt einen Sommer lang die Liebe zu Carmen. Mit einer sehr jungen Leidenschaft, die der steirischen Kultur-Service GmbH zu verdanken ist. Diese hatte den Einfall, neben der einmaligen Opernproduktion "Carmen" unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt (die furche berichtete) den Carmen-Stoff auch mit weiteren inhaltlichen Schwerpunktsetzungen zu umschwirren, was man heute kulturelle Synergien nennt. Der Steiermark ein begehrenswert aktuelles Nachhaltigkeitsprofil zu geben, ist erklärtes Ziel dieser 2004 von lh Waltraud Klasnic kostspielig eingesetzten Servicestelle. Deren Leiter, Bernhard Rinner, Kulturmanager und Musikliebhaber, setzte nun als sein Herzensprojekt auf Carmens magnetisierende Aura. Begleitend zu Carmens Einsatz bei der Styriarte posiert sie nun auch bis Anfang September für eine Ausstellung des Landesmuseums Joanneum. 120 Werke, unter anderem von Goya, Courbet, Manet, Nadar und Picasso zeigen - mit raren zeitgenössischen Ausnahmen - den männlichen Künstlerblick auf ein fiktives Frauengeschöpf, inklusive allem was dazugehört.

1845 setzte der französische Autor Prosper Mérimée (1803-1870) in der gleichnamigen Novelle diese Kunstfigur, diesen Mythos in die Welt. Geschaffen hat er damit einen Frauentypus, der bis heute wenig an Aktualität verloren hat. Obgleich die Carmen von heute Gefahr läuft, ihr widersetzendes Naturell an die schwer erkämpfte Gleichberechtigung zu verlieren. Mérimées Novelle präsentiert "la Carmen" als eine erotisch anziehende, frei- und eigensinnige Frau, deren Geheimnis in ihrem ungebrochenen Drang liegt, "niemanden zu lieben". Dies und 35 Jahre später Georges Bizets Musik ließen Carmen immerhin schon seit 130 Jahren unsterblich sein.

Joanneum-Intendant Peter Pakesch nennt die stolze und exotisch Schöne "ein Medienphänomen mit Langzeitwirkung". Dieser kann man in der von Verena Formanek konzipierten Schau "Blicke auf Carmen" nicht ganz folgen. Der zeitgenössische Blick auf Carmen, der Formaneks erklärtes Ziel war, kommt mit zwei Arbeiten aus. Dabei wurde ein Werk aus dem Reich der Gegenwartskunst - "L'homme mort/Der tote Mann (nach Edouard Manet)" von Anne Sauser-Hall, 2003 - als endlose Videoschleife im räumlichen Abseits des Museums installiert. Und Aura Rosenbergs 1996 entstandene großformatige Fotoarbeit eines überschminkten und zur Schau gestellten Mädchens legitimiert sich allein durch die Tatsache, dass sich die abgebildete Künstlertochter Carmen nennt. Mit Rosenbergs Tochter Carmen und einem mysteriösen Jacques Lacan-Zitat an der Wand der hellrot ausgemalten Rotunde startet der Carmen Trip; und man zweifelt an sich und dem Vorhaben, sich ganz von den Bildern leiten zu lassen, wenn das erste "echte" Carmenbild, mit dem man konfrontiert wird, etwa 200 Jahre vor Mérimées Kopfgeburt gemalt wurde. Gewiss, Claudio Coellos "Porträt einer Spanierin" aus dem 17. Jahrhundert ist schmeichelhafter und anmutiger als etwa Manets berühmte "Angelina" von 1865. Coellos Dame entsprang ja auch eher der Puderdose des Rokoko als der flirrenden Luft einer spanischen Stierarena. Mit dieser hat aber auch Manets Dame am Fenster wenig zu tun. Sie scheint sich vergebens vor ein lang und gut gehütetes Geheimnis zu drängen; alt und bitter beflügelt sie weder Männerfantasien noch vermag sie einen Stier in die Arena zu locken. Der Großteil der Ausstellung jedoch konfrontiert mit Carmen Klischees. So die Spanienbilder der französischen Salonmaler des 19. Jahrhunderts (wie unter anderem Antoine Dumas, Léon Bonnat), die sie mit Folklore und Romantik, Fächer und Tamburin bis zur Ermüdung verklären. Großformatige, langweilige Kunst erstmals in Graz! Mit der Fotoserie des österreichischen Fotografen Ludwig Angerer, der 1845 auf einer Expedition nach Bukarest das Leben der Roma von damals festhielt, gewinnt auch die rezeptionsgeschichtliche Annäherung der Ausstellung an die Figur der Carmen wieder zunehmend an Perspektive.

Den beneidenswertesten Blick in dieser Déjà-vu-Schau der Carmenklischees wirft Picasso. Erlöst, der griechischen Mythologie entstiegen, in eruptive Erotik und Todeskampf verstrickt erreicht Picassos schimärische Carmen die Moderne. Endlich!

BLICKE AUF CARMEN

bis 4. September.

Di-So 10-18 Uhr; Do 10-20 Uhr.

Landesmuseum Joanneum

Neutorgasse 45, 8010 Graz

www.museum-joanneum.at

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