Liebeserklärung an die Pfarrmedien

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An den Schriftenständen heimischer Kirchen hat sich in den letzten Jahren ein revolutionärer Wandel vollzogen.

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An den Schriftenständen heimischer Kirchen hat sich in den letzten Jahren ein revolutionärer Wandel vollzogen.

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Jede Kirche erzählt ihre eigene Geschichte. Und da mich Geschichten immer interessieren besuche ich unterwegs gerne Kirchen und lasse sie auf mich wirken bis sie mir ein wenig erzählen. Ein prachtvoller barocker Hochaltar kann ebenso beredt sein wie ein fast verborgenes Fresko, die Kerzen- und Blumenfrömmigkeit vor den künstlerisch weniger bedeutungsvollen Zeugnissen der Marienverehrung offenbart mehr von der christlichen Volksseele als manch blankpolierter Marmor-Ambo. Kultureller Purismus oder liturgische Ordnungsliebe sind überhaupt kein Maßstab für die Vielfalt menschlicher Anliegen und Schicksale im Dämmer von Nischen und hinteren Seitenaltären. Und auch mancher architektonische Modernismus kühner Neu- und Umbauten relativiert sich in der mildernden Buntheit einer volksbelassenen Andachts-Ecke.

Zu den Eindrücken, die ich gerne mitnehme, gehören die Pfarrbriefe und Pfarrgemeindenachrichten vom Schriftenstand. In aller Stille, unbemerkt von den offiziellen Medien oder gar der Publizistik-Wissenschaft, hat sich da in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen den ich fast als revolutionär bezeichnen könnte. Wohl gibt es an den Schriftenständen öfter noch die frommen Andachtsbriefe mehr oder weniger konservativer Gebets- und Segensgemeinschaften.

Aber das sind nicht die Organe der Pfarre. Vielmehr fallen da mitunter recht kecke Titel und Schlagzeilen ins Auge die geradezu mit dem Boulevard wetteifern: Pfarr-News, Unser Kurier, Aufbruchs-Post, Der neue Morgen, Unser Signal ... Und die Schlagzeilen sind auch nicht ohne: Geldleichen im Opferstock, Feuersbrunst in der Osternacht, Erdrutsch beim Orgelfonds, Jazzklub bläst zur Morgenmesse, Gespenster im Jugendlager ... Welche Profi-Journalisten legen da ihre Lese-Köder aus? Sind das bloß Nachahmungs-Täter der Postwurf-Illustrierten der Wiener Erzdiözese "Dialog"?

Um die Typen der neuen Pfarr-Medien zu würdigen muß man wissen, daß sie in der Regel von ehrenamtlichen Amateuren redigiert werden. Mag sein, daß da und dort ein Journalist oder Autor in seiner Freizeit mithilft oder berät. Der Konkurrenzvergleich ist nicht mit den professionellen Medien anzustellen, sondern mit den Partei-, Gemeinde- oder Vereinsblättern. Und da liegen, soweit mein Eindruck reicht, die Pfarrblätter meilenweit in Führung. Die Kommunikations- und Medienschulungen der Kirche sind nicht ohne Wirkung.

Zuflucht der Lyrik Die graphische Aufmachung hängt offensichtlich vom Budget ab. Der Informationswert bescheidener Abzüge leidet keineswegs. Der Leser spürt es wenn hier ein bunter Spiegel pfarrgemeinschaftlichen Lebens kurzweilig dargeboten wird. Lesefeindlich sind - ähnlich wie anderswo langatmige Erklärungen von Partei- oder Vereinsvorsitzenden - erbauliche Herausgeberartikel. Erfrischend hingegen oft Statements von Kindern, heitere Episoden und treffliche Karikaturen. Ähnlich wie der Kinderchor oft Sprungbrett für musikalische Talente ist, kann das Pfarrblatt mediale Begabungen entdecken und fördern.

Auffallend ist, daß die Pfarrblätter offensichtlich zwei Aufgaben übernommen haben, die trotz ihrer kulturpolitischen Bedeutung von den öffentlichen Medien immer weniger wahrgenommen werden. Die regionale Kunst- und Heimatgeschichte findet einen neuen Ort und Leserkreis. Bemerkenswerterweise aber auch die sonst in exklusive Literaturzeitschriften abgedrängte Lyrik. Wobei die Herausgeber und Redakteure hier eine klug genutzte Möglichkeit wahrnehmen, auch aufmüpfige und nicht gerade kirchenkonforme Meinungsvielfalt zu Wort kommen zu lassen: Bert Brecht, Erich Fried, Enzensberger. Die Zeiten frömmelnder Heimatdichter in den Pfarrblättern sind jedenfalls vorbei. Die meditative Kraft und Eignung der Lyrik feiert hier eine unerwartete Auferstehung. Wer sich über die Schimpfereien des Thomas Bernhard ärgert, kann auf einmal im Pfarrblatt entdecken, daß er auch ein tiefer Denker und Beter sein konnte. Wie denn überhaupt die Mehrheit der Pfarrblätter um Integration der unterschiedlichen Strömungen bemüht ist. Diskussion ist angesagt, Zensur nicht.

Ich liebe diese Kleinmedien, die nicht nach Quoten gieren und daher viel ehrlicher und glaubwürdiger sind.

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