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Uberleben im Ghetto von Wilna

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Wilna. die Heimat des großen Gaon von Y\ ilna und später des VIVO, des Yiddischen Y\ issenschaftlichen Instituts, war in der jüdischen Geschichte vor der Shoah berühmt als ein Zentrum der Gelehrsamkeit, weshalb es nicht umsonst den Beinamen Jerusalem des Ostens erhielt. \ on den rund 75.000 jüdischen Einwohnern überlebten nur 2-3.000 die Naziherrschaft. Schoschana Rabinovici, geborene Su-sie Y\ eksler. ist eine dieser Uberlebenden. Ihr Großvater war Mitglied des Präsidiums des Verbandes jüdischer Industrieller und ihre Mutter besaß das Geschäft ,.bon-ton”.

Aus der Perspektive des Kindes und dadurch umso eindrucksvoller beschreibt die Autorin das Uberleben des zehnjährigen jüdischen Mädchens Susie Y\ eksler im Ghetto von Y\ ilna und in den Konzentrationslagern Kaiserwald, Stutthof und Taun-zin nur dank ihrer Mutter, dank ihrer „Liebe und Tapferkeit”, wie sie in der Widmung schreibt.

Im Ghetto schloß sich Susie einem Kinderchor an, besuchte die Theateraufführungen und schrieb selbst jiddische Gedichte, die ihr halfen, die grausame W irklichkeit zu ertragen. Das änderte sich, als ihre Mutter krank wurde; Susie schrieb und sang nicht mehr und war in Gefahr, ein „Muselman” zu werden, sich selbst aufzugeben. Auch das erkannte ihre Mutter gerade noch rechtzeitig. Sie wurde wieder gesund und lächelte wieder „und ihr Lächeln war für mich”, wie die Autorin schreibt, „als würde die Sonne wieder scheinen”. Aber ihre Hilfe war auch gegenseitig: „Ich weiß nicht, wer wem mehr geholfen hat an diesem Tag. Es war wohl so, daß mein schrecklicher Zustand meine Mutter aufgeweckt und daß ihre Rückkehr zum Leben auch meine Willenskraft mobilisiert hat.”

Der gefürchtete Ghettoleiter von Wilna, dessen Name allein, wie Rabinovici schreibt, „Angst und Schrek-ken” verbreitete, war der Österreicher Franz Murer, laut Simon \\ ie-senthal „verantwortlich an der Ausrottung der jüdischen Gemeinde in Wilna”, der „auch persönlich gemordet, gefoltert und die Leute ausgeplünderte”, bei seinem Prozeß 1963 in Graz aber freigesprochen wurde.

Nach der Befreiung durch die Rote Armee war Rabinovici eine Woche lang bewußtlos. Auch ihre Mutter gesundete langsam und die Autorin schreibt: „Ihr Aussehen entsetzte mich immer wieder aufs neue. Diese Frau, die einmal so schön gewesen war, war 41 und sali aus wie 70.”

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