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Zwielichtiges Rußland

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Nikolai Lesskow: ein großer Russe, ein großer Humorist in der Nachfolge Gogols, ein großer Erzähler in der Nachfolge Dostojewskis — aber das erlösende und schallende Gelächter Gogols war bei ihm, dem späteren, zum heiter maskierten, schmallippig lächelnden Hohn geworden, Dostojewskis breite, uferlos strömende Flut zum scharfen Strahl einer gebändigten Fontäne. Ihn trug es nicht mehr aus den unteren Tiefen seines Wesens unaufhaltsam in die Höhen religiöser Ekstase, er verwechselte bereits das Christentum mit den Popen und die Popen waren ihm keineswegs sympathisch. Und so verbirgt sich hinter dem Gelächter jeder einzelnen seiner „zwielichtigen Schelmengeschichten“ ein neuer, unerwarteter Ausbruch der Haßliebe zu Rußland, zu seinem russischen Volk In allen oberen und allen unteren Rängen, mit seinen ebenso großartigen wie zügellos egoistischen Herrschern und Aristokraten, seinen ebenso großartigen wie dummpfiffigen Bauern, seinen ebenso großartigen wie skrupellos heuchlerischen Bürgern und Kaufleuten, seinen ebenso großartigen wie brutal stupiden Dienern und Leibeigenen. Eine inzwischen versunkene Sozialstruktur, gewiß, eine inzwischen gewandelte Welt, deren Akzente sich verschoben haben, aber eben nur die Akzente, während die Charaktere, die Bestandteile, durcheinandergerührt und anders verteilt, die gleichen geblieben sind und notwendigerweise die gleichen bleiben mußten, denn Völker lassen sich nicht auswechseln, nur die Machthaber. Lesskow und seine Darstellungskraft für den deutschen Sprachraum wiederentdeckt zu haben, ist ein besonderes Verdienst des Biederstein-Verlages. Johannes von Guenthers Übertragung ist mehr als bloße Übersetzung; sie ist kongeniale Nachdichtung.

FISCHSUPPE OHNE FISCH. Von Nikolai Lesskow. Zwielichtige Schelmengeschichten. Herausgegeben von Johannes von Guenther. Umschlag und Einband: Werner Rebhuhn, Hamburg, Erschienen 1970 im Biederstein-Verlag, München.

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