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Kinder von Cola und Marx?

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„Mit'n Schmäh“ (Liedtitel) eröffnete die in Wiener Mundart singende Popgruppe „One Family“ den „Twen-Shop 70“. Jene Jugendmesse, für die der „Kurier“ das Programm absteckt: „Jung — Informiert — Angebot kennenlernen — Kein Verkauf — Schauen — Prüfen — Entscheiden.“

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„Mit'n Schmäh“ (Liedtitel) eröffnete die in Wiener Mundart singende Popgruppe „One Family“ den „Twen-Shop 70“. Jene Jugendmesse, für die der „Kurier“ das Programm absteckt: „Jung — Informiert — Angebot kennenlernen — Kein Verkauf — Schauen — Prüfen — Entscheiden.“

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Konzipiert von cleveren Werbe-managem, die Jungsein als „in“ empfinden und Jugendliche als die Summe ihres Taschengeldes oder Gehalts verstehen, wird der „Twen-Shop“ zum Spiegelbild unserer Gesellschaft. Denn: während im Ausstellungsraum Firmen für die „wilde Frische“ ihres Produktes werben oder „ein Getränk mit drive“ anbieten, agieren auf der Bühne Musiker, die Kniegsgeheul besingen oder die repressive, das Individuum frustrierende, spätkapitalistische Leistungsund Konsumgesellschaft beklagen. Vorbei an den Ständen strömen die „Kinder von Cola und Marx“ — wie man Jugendliche einmal treffend definiert hat — und empfinden die ausgestellten Waren als „klaß“, die

Preise jedoch als „irr“. Diese Qualifikation wird vor allem bei Waren getroffen, die nur durch Verpackung und Aufmachung auf jung getrimmt werden, in Wahrheit aber Konsumgüter sind, die abseits jeder Altersstufe nach einer gewissen Finanzkraft verlangen.

Das Angebot ist vielfältig und erstreckt sich von Textilien über Kosmetikartikel zu Musikinstrumenten; vom Sportwagen, dem der Schmutz der letzten Wertungsfahrt anhaftet, bis zum Blutspendezelt und Bücherstand. Bei letzterem besteht die Möglichkeit, sich an den „Söhnen der Sonne“ zu delektieren oder das „Lehrbuch der körperlichen Liebestechnik“ zu studieren. Doch auch die Politik kommt nicht zu kurz: Während am Stand des Unterrichtsministeriums Broschüren über „die Grundrechte des Menschen in Österreich“ und solche, die sich mit den Problemen einer effizienten Verteidigungspolitik beschäftigen, verteilt werden, propagiert man unweit davon „die totale Abrüstung“ und fordert: „Wenn Sie sich selbst und unserem Land nützen wollen, dann unterzeichnen Sie das Anti-bundeshearvolksbegehren.“ Das Aussparen von Kunst und Wissenschaft ermöglicht einer Jugendorganisation im Rahmen eines Quiz, der dem „Werbekonzept 70“ gemäß überrepräsentiert ist, die „Gretchenfrage“: „Sind auch Sie ein Konsumidiot — ja oder nein“. Nun, die Frage ist unangenehm, verliert aber an Härte, da „Sie am Ende des Twen-Shop 70 an einer kleinen Verlosung

— als Belohnung für Ihre Mitarbeit

— teilnehmen“. Alles in allem: jung zu sein bedarf es wenig, und wer jung ist, ist ein König — um ein Volkslied zu mutieren.

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