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Noch ein Sozialmärchen: Regisseur Robert Guédiguian über seinen Film "Der Schnee am Kilimandscharo“. Das Gespräch führte Magdalena Miedl

F ilm als Predigt: Regisseur Robert Guédiguian im Interview zu seinem Sozialdrama "Schnee am Kilimandscharo“ über Klassenkampf, die Lüge. Einmal mehr zeigt der aus Marseille stammende Filmemacher auf, welch sozialer Sprengstoff im Frankreich von (Noch-)Präsident Sarkozy präsent ist .

Die Furche: In Ihrem Film bestiehlt ein junger Arbeitsloser seinen älteren ehemaligen Kollegen. Gibt es Klassenkampf überhaupt noch?

Robert Guédiguian: Nun, die Arbeiterklasse existiert zwar noch, aber sie hat ihre Form, ihr Aussehen verändert. Wir haben keine Arbeiter mehr in Fabriken in blauen Overalls, wir haben jetzt Leute in großen Unternehmen. Obwohl sie weiße Hemden tragen, sind sie die neue Arbeiterklasse, weil sie vom Mindesteinkommen leben müssen. Die Gesellschaft versucht, diese Menschen zum Mittelstand zu rechnen, aber das ist falsch. Es ist notwendig, dass diesen Menschen bewusst wird, in welcher Situation sie sich befinden, und dass sie sich vereinen.

Die Furche: Wie ist diese Einigkeit verloren gegangen?

Guédiguian: Heute ist alles so eingerichtet, dass es Konflikt erzeugt, dass die Kontraste hervorgehoben werden statt der Gemeinsamkeiten innerhalb einer Klasse. Jemand, der seinen Job verloren hat, beneidet den, der noch den Mindestlohn verdient, und wer in einem Wohnblock lebt, hält die, die in kleinen Häusern wohnen, für die Bourgeoisie. Es wird alles getan, um die Leute zu entzweien. Was der Film versucht anzuregen ist, dass wir zusammenarbeiten. In Frankreich verdienen 85 Prozent der Bevölkerung weniger als 2000 Euro im Monat, das bedeutet, dass der Großteil der Franzosen arm ist. Und das ist ein erschreckender Gedanke.

Die Furche: Der Film spielt in jenem Viertel, in dem Sie selbst aufgewachsen sind. Sind die Kinder, die jetzt da aufwachsen, anders als Sie damals?

Guédiguian: Ja, völlig anders, weil ihre Zukunft heute unsicherer ist als unsere damals. Wir sind am Beginn eines sehr ernsthaften, gefährlichen Phänomens, nämlich dass die nächste Generation einen viel niedrigeren Lebensstandard haben wird als wir. Im letzten Jahrhundert war alles besser im Vergleich zu den Generationen davor. Das ist vorbei. Es ist eine neue kopernikanische Revolution, aber keine gute.

Die Furche: Sie erzählen in Ihren Filmen immer wieder vom Zusammenarbeiten, Zusammenleben. Warum ist Ihnen die Idee der Gemeinschaft so wichtig?

Guédiguian: Ich glaube daran, dass die Gruppe für den Menschen existenziell ist. In den letzten 30 Jahren wurde uns immer wieder eingetrichtert, dass das Individuum wichtiger sei als die Gemeinschaft. Aber ich glaube nicht an die Möglichkeit, dass der Einzelne im Leben erfolgreich sein kann, ich glaube nur daran, dass eine Gruppe von Menschen Erfolg haben kann. Alle Bemühungen, ob durch Evolution oder durch Reformen, müssen das Resultat der Bemühungen einer Gemeinschaft sein. Der Individualismus ist die Konsequenz einer dummen Ideologie, die in den 80er Jahren in Stein gemeißelt wurde, und ich bin vehement dagegen, weil diese Überzeugung tragische Konsequenzen hat auf die Gesellschaft.

Die Furche: Ist es nicht ein wenig naiv und optimistisch, ein Paar wie dieses zu zeigen, das einander so liebt, und das politisch und sozial so engagiert ist?

Guédiguian: Ich denke, man kann auf zweierlei Arten predigen, und ich verwende das Wort "predigen“ hier absichtlich: Die eine Art ist durch Demonstration, was natürlich nuanciert, analytisch und ernsthaft sein kann. Das habe ich mehrfach in Filmen gemacht. Und die andere Art ist durch das ermutigende Beispiel, wie hier: Ich porträtiere die beiden, sodass die Zuschauer über sie nachdenken können, und sie vielleicht als Vorbilder verwenden. Es gibt da dieses Zitat von Antonio Gramsci, das ich sehr mag, und zwar dass das Leben eine Balance sein muss zwischen dem Pessimismus der Intelligenz, und dem Optimismus des Willens. Das versuche ich hier.

Der Schnee am Kilimandscharo (Les Neiges du Kilimandjaro)

F 2011. Regie: Robert Guédiguian. Mit Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin. Thimfilm. 107 Min.

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