Michael Moore lobt Europa hoch

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Schätzen Herr und Frau Europäer überhaupt noch, was sie an ihrem Sozial-und Gesellschaftssystem haben? Nach "Where to Invade Next" wissen sie es. Sicher.

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Schätzen Herr und Frau Europäer überhaupt noch, was sie an ihrem Sozial-und Gesellschaftssystem haben? Nach "Where to Invade Next" wissen sie es. Sicher.

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Dokumentarfilme heißen sie, aber in Wirklichkeit handelt es sich bei Michael Moores Œuvre um Agitationskino, das seine Weltsicht transportiert. Was der amerikanische Filmemacher zu Untermauerung seiner Weltsicht darstellbar findet, das zeigt er, Gegenpositionen und Differenzierung haben keinen Platz. Das kann man mögen oder nicht. Aber wenn man sich auf diesen cineastischen Subjektivismus einlässt, dann kann man auch den Opera des Berserkers politischer Botschaften einiges abgewinnen.

In Good Old Europe

Das ist in Michael Moores neuem Streich "How to Invade Next" nicht anders. Der Titel ist schon eine Provokation, beruht er ja auf des Filmemachers gewiss nicht falscher Einschätzung, dass alle "Invasionen" der USA seit 1945 -von Vietnam bis zum Irakkrieg -veritable Fehlschläge waren. Deshalb macht sich Meister Moore auf den Weg nach Europa, um dort in allerlei Errungenschaften "einzumarschieren", von denen Herr und Frau Amerikaner nur träumen können.

Moore fährt deswegen nach Italien, weil es dort so viel bezahlten Urlaub gibt. Dann sucht er das weltbeste Bildungssystem in Finnland auf, um sich dann am tollen Gesundheitssystem Deutschlands und dem kostenlosen Uni-Zugang in Slowenien zu delektieren. In Frankreich findet Moore dann supergesundes Schulessen (und nicht den Fastfoodfraß in seiner Heimat) vor, und in Portugal wundert er sich, dass es dort kaum Verurteilungen wegen Drogendeliikten gibt.

In Deutschland entdeckt Moore auch die 35-Stunden-Woche und lobt das Land für den offenen Umgang mit seiner Schuldgeschichte, währenddessen der Völkermord an den Indianern und die Sklaverei in den USA längst nicht so präsent sind wie die Schoa-Erinnerung in Deutschland.

An Norwegen faszinieren ihn die Gefängnisse mit einer Rückfallquote von bloß 20 Prozent (und natürlich ohne Todesstrafe) - gegenüber 80 Prozent in den USA. Und an Island gefällt ihm, wie die Frauen politische Macht übernommen haben und vor allem den von wenigen -männlichen Bankern -verursachten Ruin des Finanzsystems in den Griff bekommen haben.

Lehrfilm für verzagte Europäer

Ganz eindeutig richtet sich Moore plakativ an seine Landsleute -und kommt noch drauf, dass die meisten europäischen Innovationen (etwa der Umbau des finnischen Schulsystems) auf US-Ideen zurückzuführen sind, die im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nie eine Chance auf Verwirklichung gehabt hätten. Von daher ist "Where to Invade Next" auch für zurzeit verzagte Europäer ein Lehrfilm, welch großartiges Sozial- und Gesellschaftssystem auf dem Alten Kontinent im Vergleich mit den USA zu finden ist. Man sieht diesseits des Atlantiks ja den Wald oft nicht vor Bäumen.

Nur der Abstecher Moores nach Tunesien ist dann doch gar zu naiv geraten: Mag ja stimmen, dass der Arabische Frühling am ehesten in diesem Land das geblieben ist, was erhofft wurde. Aber als Ausbund an Frauenbefreiung, wie Moore in seinem Film suggeriert, kann diese Gesellschaft aber denn doch nicht gelten.

Where to Invade Next USA 2015. Regie: Michael Moore. Einhorn. 110 Min.

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