Miss Poirot am Euphrat

19451960198020002020

Die Ausstellung "Agatha Christie und der Orient" im Wiener Museum für Völkerkunde.

19451960198020002020

Die Ausstellung "Agatha Christie und der Orient" im Wiener Museum für Völkerkunde.

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn bei einer Grabung etwas aus dem Boden kommt, wird alles Umliegende sehr sorgfältig gesäubert", näselt Hercule Poirot. "Man nimmt die lose Erde weg, man kratzt hier und dort mit einem Messer, bis schließlich der Gegenstand hervorkommt, um ganz für sich gezeichnet und fotografiert zu werden, ohne daß irgend etwas Umliegendes die Aufzeichnung verwirrt. Genau das habe ich versucht zu tun, das nicht Dazugehörige beiseite zu schaffen, so daß wir die Wahrheit und nichts als die nackte Wahrheit sehen können." In niemandem anderen fanden Kriminalistik und Archäologie zu einer fruchtbareren Symbiose als in der britischen Schriftstellerin Agatha Christie (1890 bis 1976), aus deren Feder der berühmte belgische Detektiv stammt. Die sehenswerte Ausstellung "Agatha Christie und der Orient" im Wiener Museum für Völkerkunde folgt derzeit den Spuren des Morgenlandes im Werk der abendländischen Klassikerin.

Immer wieder taucht der Orient in Christies Kriminalromanen auf, als bloße Kulisse ("Mord im Orient-Expreß" oder "Tod auf dem Nil") oder als farbig und genau geschildertes Umfeld ("Mord in Mesopotamien"). Mit "Death Comes as the End" und "Akhnaton" verlegte sie gar einen Krimi beziehungsweise ein (noch nie aufgeführtes) Theaterstück ins Alte Ägypten.

Obwohl sie optisch eher ihrer betulichen Figur Miss Marple ähnelte, die Verbrechern im verregneten England das Handwerk legt, glich sie innerlich mehr ihrem kosmopolitischen Hercule Poirot. Zwar viktorianisch geprägt, war Christie eine überraschend unkonventionelle, nach heutigem Verständnis emanzipierte Frau - und sie verfügte über fundierte Kenntnisse über den Orient und die Altertumsforschung, denn verheiratet war sie mit Max Mallowan (1904 bis 1978), einem der angesehensten Archäologen seiner Zeit. An seiner Seite lebte sie viele Jahre im Irak sowie in Syrien und arbeitete an zahlreichen Ausgrabungen mit. Sie restaurierte Funde und dokumentierte die Ausgrabungen mit der Kamera. Im Völkerkundemuseum sind zahlreiche ihrer Fotografien zu sehen.

Der Orient Agatha Christies - Ägypten und die Länder des Nahen Ostens in den dreißiger bis fünfziger Jahren - kannte die Übel des Massentourismus und des Fundamentalismus noch nicht. Während die meisten Orient-Reisenden der damaligen Zeit in Vorurteilen und Klischees Verfangen waren, ironisierte Agatha Christie den Touristenblick und vermied es, "die Orientalen" - wie damals üblich - als zivilisatorische Kinder zu beschreiben. In "Mord in Mesopotamien" etwa - einer lebendigen Studie des Archäologenmilieus - wandelt sich die Ich-Erzählerin schrittweise von einer Ignorantin zur Verstehenden.

Dem Orient-Mythos erlegen, wurde Agatha Christie im Orient selbst zum Mythos - und eine Touristenattraktion. Nach Nimrud, der Hauptstadt des assyrischen Reiches, kamen bald mehr Schaulustige, um die berühmte Schriftstellerin zu besichtigen, als die spektakulären Elfenbein- und Keilschrifttafeln, die ihr Mann zutage förderte. Kein Wunder: Mit einer Gesamtauflage von zwei Milliarden Büchern in 44 Sprachen ist ihr Werk das meistverkaufte nach der Bibel und den Dramen Shakespeares.

Bis 17. September

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung