Mit Chansons garniert

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Molières "Der Bürger als Edelmann" in Graz in bester commedia dell'arte-Tradition.

Nach Art eines Ninja-Kriegers schwingt sich der einäugige Fechtlehrer vom Schnürboden auf die Bühne herab, ohne Netz und doppelten Boden turnt ebenda ukrainisches Hauspersonal in gewagtesten Verrenkungen, aufgedonnerte Fräuleins schmettern halbfranzösische Chansons; hat sich der Zuseher in den Zirkus verirrt?

Mitnichten; diese kleinen artistischen Einlagen und Gesangsstücke sind Teil der Ballett-Komödie "Der Bürger als Edelmann" frei nach Molière von Cornelia Crombholz. Mit ihrer kleinen - mehrere Rollen pro Darsteller - aber feinen Schauspieltruppe zeigt sie in der Tradition der commedia dell'arte eine mit Chansons garnierte französische Variante der barocken Typenkomödie des italienischen Volkstheaters. So gelten die Lacher des Publikums neben musikakrobatischen Einlagen (Olena Shylakovska Storozhuk, Oleksej Storozhuk) und überraschenden Auftritten vor allem den Dienerfiguren Covielle (Franz Solar) und Nicole (Barbara Hammer), die wie Arlecchino/Brighella und Colombine in den italienischen Variationen eine gewisse Umkehrung ihres tristen Lebens bewirken, indem sie sich unter Einsatz von simplem Hausverstand als weit klüger als ihre jeweilige Herrschaft erweisen. Höchst ansteckend dabei der nicht enden wollende Lachanfall Nicoles angesichts des adeligen Aufputzes ihres Herrn, vergnüglich die ausgefeilte Mimik und Gestik des durchtriebenen Covielle.

Nimmt man dazu noch zwei potentielle Liebespaare, einerseits den abgebrannten Grafen Dorante (Martin Horn), der trickreich dem Bourgeois das Geld aus der Tasche zieht, dazu die laszive Baronin Dorimène (Frauke Steiner), andererseits Lucile (Silvia Meisterle), zickig-görenhafte Tochter des Hausherrn, und Cléonte (Stefan Maaß), ihren verzweifelten und feurigen Liebhaber, so ist der Stoff für eine gelungene Komödie bereits beisammen. Nun gilt es noch, trickreich die beiden Liebespaare mit Hilfe der Dienerschaft zu verkuppeln, und das Publikum hat einen Abend lang seinen Spaß an dieser Farbenpracht (Bühne und Kostüme: Heike Werner).

Doch im Wege steht Monsieur Jourdain (Georg Peetz), wackerer Vater von Lucile und Finanzier des Grafen Dorante, vom sehnlichsten Wunsch beseelt, endlich in die "besseren Kreise" der adeligen Welt Eingang zu finden. Um dies zu bewerkstelligen, engagiert Jourdain Musik-, Tanz-, Fechtlehrer sowie einen Philosophieprofessor; allein, was er an adeligen Tugenden erlernt, bleibt Stückwerk, mehr noch, er macht sich zum Gespött der Leute und seiner Familie. Trotz seines Reichtums bleibt ihm der ersehnte soziale Aufstieg verschlossen, ein bourgeois gentilhomme wird er nicht.

Jourdain lebt denn auch in einer für solche Versuche ungünstigen Epoche. Seit 1614 wurden die états généraux, in der auch der Bürger vertreten war, nicht mehr einberufen, die ständische Durchlässigkeit existierte im absolut regierten Frankreich Louis' XIV nicht mehr, sozialer Aufstieg war nur in Ausnahmefällen möglich. Wie in der Äsop zugeschriebenen Fabel vom Adler und der Schildkröte letztere die ihr von der Natur gesetzten Grenzen nicht zu überschreiten vermag und abstürzt, als sie zu fliegen versucht, so kann Jourdain die gottgewollte ständische Ordnung des absoluten Königtums nicht überwinden. In diesem Licht erscheint er bei Crombholz am Ende beinahe als tragische Figur, wenn er einsam und im Dunkeln sitzend seine Wodkaflasche leert.

Dem Stück Molières Seichtigkeit vorzuwerfen, ist schwierig: "La grande règle de toutes règles est de plaire" sprach der Dichter selbst, mehr "delectare", weniger "prodesse", hätte Horaz gesagt. So gesehen präsentiert sich das Grazer Stück als gelungene Symbiose aus barocker und moderner Komödie.

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