Mit Theorie und Praxis zum „Welthaus“

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Mit einem „Farewell“-Fest ging die höchst erfolgreiche, achtjährige Intendanz von Gründungsdirektorin Sigrid Gareis am Tanzquartier Wien zu Ende.

Einer jener verregneten Juni-Nachmittage im Hof des Wiener Museumsquartiers: Als ich den weitläufigen Platz betrete, bricht zwischen den Bauwerken plötzlich eine Einblendung von Licht hervor, als löse es sich von den Mauern ab …

Wenig später sitze ich einer Frau mit akkuratem Kurzhaarschnitt gegenüber, die ihre kräftigen Hände auf die Schenkel stützt. Sie versprüht Energie im kleinen Büroraum: Sigrid Gareis heißt die 1959 im schwäbischen Illertissen geborene Gründungsdirektorin des TQW, des Tanzquartiers Wien, deren achtjährige Intendanz dieser Tage mit einem dreitägigen „Farewell“-Fest zu Ende ging.

Blick zurück: Im Jahr 2001 war es endlich soweit. Die jahrelangen Forderungen der freien Wiener Tanzszene nach einer eigenen Produktions- und Veranstaltungsstätte wurden amtlich erhört: Der damalige Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe verkündete die Gründung eines ganzjährigen Studio- und Forschungsbetriebs einschließlich der Nutzung der Hallen E und G als Spielstätten im Areal des Museumsquartiers. Marboe entschied sich in Folge für die Frau in den schlichten schwarzen Hosen, die sich ihre Meriten als Leiterin des Siemens-Kulturprogramms in der Münchner Firmenzentrale erworben hatte; entschied sich mit Sigrid Gareis auch für das umstrittene Intendantenmodell: Der eigenbrötlerischen, in sich zerrissenen Tanzszene schwebte eher eine „basisdemokratische“ Selbstverwaltung vor, exekutiert durch die eigenen Vertreter.

So blies der studierten Ethnologin, Theaterfan seit Kindesbeinen und „Nichttänzerin“ Gareis alsbald jener eisige Wind ins Gesicht, den Kafka in seinem „Schloss“ ortet. „Ich hatte eine große Neugier auf die besondere Situation des MQ – und keine Ahnung, was mich erwartete. Ich war völlig naiv“, meint sie heute entspannt. Gareis legt ein klares Konzept vor: Es sollte erprobt werden, über Studionutzung, Bibliothek und Videothek, die aufzubauen waren, was Research kann – eine seit Ende der 90er Jahre starke Tendenz im internationalen Tanz.

Progressive Ausrichtungen

Gareis legt sich auf eine ästhetisch-progressive Ausrichtung und von Anfang an auf Qualitätsstandards fest. „Das Tanzquartier sollte keine bloße Abspielstätte für Lokales sein, damit wäre niemandem gedient gewesen“, sagt sie. Damit düpiert sie die „Altvorderen“ der Szene. Doch die streitbare Schwäbin gibt nicht so schnell auf: Sie holt sich mit der Wiener Tänzerin Milli Bitterli als Trainingsleiterin – neben dem ehemaligen Forsythetänzer Nick Haffner – eine Verbindungsfrau zur lokalen Szene, installiert den Belgier Jereon Peeters als Dramaturgen und Betreuer für die Gruppen, verschränkt ihren offenen Begriff von Tanz mit Film, Musik und bildender Kunst. Sie führt wissenschaftliche Laboratorien, „Tanz-Labs“, ein, lässt Tänzer zu Kuratoren werden und umgekehrt, investiert in akribische Dokumentation.

Diese Verschränkung von Theorie und Praxis macht das TQW einzigartig, zum „Welthaus“, wie Gareis nicht ohne Stolz bemerkt. Und sie hält sich zugute, dass das Niveau der heimischen Gruppen dadurch bemerkbar gestiegen ist. Von einem „österreichischen Tanzwunder“ ist heute manchmal die Rede, die heimische Bewegungskunst wurde in den vergangenen Jahren tatsächlich zu einer internationalen Trade-Mark. Der Erfolg lässt sich an Gastspielen, Engagements und Preisen ablesen. Höhepunkt: der Goldene Löwe für Chris Haring bei der Tanzbiennale in Venedig 2007. „Wer’s am TQW schafft, der schafft’s auch in New York“, wird manchmal gesagt – fraglos hat Sigrid Gareis mit ihrer eigensinnigen Konsequenz daran ihren Anteil.

„In Ehren nicht verlängert“

Bei einem Jahresetat von 3,3 Millionen Euro und einer Auslastung von 80 Prozent im letzten Jahr, kamen seit der Eröffnung etwa 335.000 Besucher zu über 1.000 abendfüllenden Events, Studioformaten und Theorieveranstaltungen. Man konnte heimische Tanzschaffende wie Haring, Roderich Madl, Philipp Gehmacher, Saskia Hölbling, Willi Dorner, Doris Uhlich oder Daniel Aschwanden sehen, in Kontrast gesetzt zu internationalen Größen wie William Forsythe, Alain Platel, Jerome Bel, Boris Charmatz, Jan Fabre oder Trisha Brown, um ein paar heraus zu greifen

Die „in Ehren nicht verlängerte Intendantin“, wie sie schmunzelnd anmerkt, die intelligente wie intellektuelle Gastgeberin von Künstlern, die „Fördern und Fordern“ zum Programm erhob, hinterlässt ihrem Nachfolger, dem Münchner Walter Heun, ein Haus in bestem Zustand. Sigrid Gareis wird fehlen. In vielerlei Hinsicht.

* Eine Hommage von Mae Ost

„Ungerufen – Tanz und Performance der Zukunft“

Von Sigrid Gareis, Krassimira Kruschkova Verlag Theater der Zeit, 440 S., brosch., e 18,–

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