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Ab Herbst 2009 übernimmt Walter Heun die Leitung des Tanzquartiers Wien. Über seine Leidenschaft für den Film entdeckte er seine Liebe zum Tanz.

Nach einem rauen medialen Schlagabtausch im Vorfeld war es am 9. September 2008 soweit: Just am Tag nach der Saison-Pressekonferenz des TQW, des Tanzquartiers Wien, präsentierte Kulturstadtrat Mailath-Pokorny den Nachfolger von Intendantin Sigrid Gareis: den – wie seine Vorgängerin aus München kommenden – 46-jährigen Tanzorganisator Walter Heun.

1962 in Bayreuth geboren, studierte der Oberfranke ab 1982 vorerst Theaterwissenschaften in München. Über eine leidenschaftliche Begeisterung für den Film entdeckt er seine Liebe zum Tanz. Die Bewegungskunst lässt ihn nicht mehr los, er beginnt selbst zu trainieren und gehört zu jener Gruppe von Studenten der Tanzlektorin Claudia Jeschke (heute Ordinaria in Salzburg), die die Tanzlandschaft Deutschlands nachhaltig aufmischen wird.

Schon in Studententagen mit dem Beinamen „Diaghelev“ versehen, erkennt Heun bald die Defizite und Nöte einer im Aufbau befindlichen Tanzszene: Es fehlt an Auftrittsmöglichkeiten, finanziellen Mitteln, medialer Aufmerksamkeit, Vernetzung. Kurz: an Management. Das nimmt er umgehend in Angriff, „obwohl man etwas tat“, wie Heun erzählt, „von dem man gar nicht wusste, was es eigentlich ist“ .

Ein omnipräsenter Macher der Branche

Derweilen er sich finanziell mit einem nächtlichen Taxifahrerjob durchkämpft, gründet das Multitalent 1983 das Münchner Choreografenkollektiv „Dance Energy“ – in jenem Jahr, in dem Anne Teresa De Keersmaeker in ihrer Arbeit „Rosas danst Rosas“ versucht, die Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren, und damit Tanzgeschichte schreibt. Außerdem war 1983 „auch ein phantastisches Weinjahr, dank eines Jahrhundertsommers“, merkt Heun schmunzelnd an.

In der Folge engagiert er sich in den verschiedensten Tanzinstitutionen, wird nach und nach zu einem einflussreichen, fast omnipräsenten Macher der Branche, wenn auch abseits des ursprünglich gesuchten Rampenlichts. Er betreibt die Tanz- und Theaterproduktionsfirma „Joint Adventures“, leitet seit 1991 das Festival „Tanzwerkstatt Europa“ in München, war Mitbegründer der „Tanzplattform Deutschland“ und brachte sich von 1999 bis 2004 in der zum „choreografischen Zentrum“ ausgebauten Tanzabteilung des Stadttheaters Luzern ein – um nur einige Stationen aus einem beeindruckenden curriculum vitae zu nennen.

Die Reaktion auf seine Bestellung blieb in der progressiven Wiener Tanz-Community vorerst verhalten. Ein Bangen und Hoffen begann: Was bleibt, was wird neu, wer muss gehen? – Für den groß gewachsenen Amateurtänzer mit der angenehmen Stimme – der „leider keinen Wiener Walzer kann“ – liegt die Latte hoch: Seine Vorgängerin hat einen offenen Denkraum hinterlassen, ein fortschrittliches, diskursiv geprägtes Gebilde, das in Europa seinesgleichen sucht.

Spezifik des Tanzes als Kunstform

In einer ersten Stellungnahme zu seinen Plänen fürs Tanzquartier Wien meinte Heun: „Nachdem Interdisziplinarität für lange Jahre das wichtigste Argument für die Relevanz des Tanzes in der kulturellen Landschaft war, ist es an der Zeit, die Spezifik des Tanzes als Kunstform wieder in den Blick zu nehmen. Der Tanz ist heute selbstbewusst genug, seine Existenzberechtigung nicht mehr aus einer Mittlerfunktion legitimieren zu müssen. Der Einsatz aller medialen Mittel, die Überschreitung aller Grenzen ist im Tanz längst gängige Praxis.“

Was die künftige Programmierung des TQW betrifft, will der neue Intendant sein Hauptaugenmerk auf den „bewegten Körper im Raum vor dem Hintergrund der aktuellen künstlerischen Entwicklung“ legen. Die choreografische Kunst soll ihr sinnliches Potential neu ausloten, sich dadurch auch öffnen für neue und größere Publikumsschichten, die Heun gern ins TQW locken möchte.

Weiterhin werden nationale und internationale Künstler in einem ausbalancierten Verhältnis auftreten, strukturfördernde Maßnahmen sollen eine „von Dichotomien gezeichnete österreichische Tanzszene“ integrieren helfen, und die Kooperation mit Veranstaltern vor Ort soll ausgebaut werden.

Walter Heun ruft zum „Tanz im Tanz“ auf. Es bleibt zu hoffen, dass er den „bewegten Körper im Raum“ nicht mit sich allein lässt, dass er diesen Körper in einer medialen Gegenwartsgesellschaft verankert, und dabei jene Ästhetiken im Auge behält, die sich mit der Zeit und ihrer Kunst kritisch auseinandersetzen.

Und vielleicht lernt er in Wien auch Walzer tanzen.

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