Mund-Schenk der Pointen

Werbung
Werbung
Werbung

Gelungener Molière im Theater in der Josefstadt.

Die Medizin hat seit dem 17. Jahrhundert große Fortschritte gemacht. Molières Komödie mit dem sprachlich problematischen Titel "Der eingebildete Kranke" hat aber ihren Reiz nicht verloren. Das beweist die vor allem auch in den Karneval-Zwischenspielen gelungene Inszenierung des Zürichers Claude Stratz, der mit Frank Weigand die Übersetzung von Ludwig Fulda bearbeitet hat, im Josefstädter Theater in Wien.

Kritik der Medizin...

Natürlich hat man bei diesem Werk über einen notorischen Hypochonder im Hinterkopf, dass der Autor und erste Darsteller der Hauptrolle des Argan noch im Bühnenkostüm nach der dritten Vorstellung im Jahr 1673 einem Blutsturz erlegen ist. Die Ärzte und Apotheker seiner Zeit stellt Molière in diesem Stück als geldgierige, eitle Nichtskönner hin, die Krankheiten zwar lateinisch benennen, aber weder richtig diagnostizieren noch heilen können. Er empfand sie bei der Bewältigung seines eigenen Leidens an der Lunge, das er ohne Scheu in der publikumswirksamen Verkleidungsszene beim Namen nennt, sicher nicht als hilfreich.

Ezio Toffolutti hat ästhetisch ausgestattet - mit die Personen farblich gut charakterisierenden Kostümen in einem halbrunden Raum: Argans Krankenzimmer gleicht der Eingangshalle eines Palastes, mit Säulen und Trompe l'Ril-Fresken geschmückt, dominiert von einem in ein Bett verwandelbaren Krankenstuhl. Darunter befindet sich die Leibschüssel, deren Inhalt einmal spektakulär in einen Kübel geleert wird.

Das Thema ist nicht nur Argans krankhafte Sorge um seine körperliche Gesundheit, sondern auch sein dadurch ausgelöster Wunsch, einen Arzt als Schwiegersohn zu erhalten, nämlich den staubtrockenen, eher zum Hutständer geborenen Thomas Diafoirus (köstlich: Thomas Schendel). Da will freilich die in den jungen Cléante (Sascha Oskar Weis erinnert an den Geiger André Rieu) verliebte Tochter Angélique (sehr gefühlsbetont: Bernadette Abendstein) nicht mitspielen. Unterstützt wird sie von der kecken Dienerin Toinette (Publikumsliebling Sandra Cervik zieht gekonnt alle Register). Argans zweite Frau Béline ist vor allem hinter seinem Vermögen her (und bei Doina Weber in guten Händen). Argans Bruder Béralde dient dem Dichter als Sprachrohr für seine vernichtende Kritik an der Ärzteschaft, als deren arrogantester Exponent Argans Hausarzt Purgon (gallig-böse: Ronald Seboth) entrüstet das Weite sucht. Eine der stärksten Szenen des Stückes zeigt Argan mit seiner jüngeren Tochter Louison (sehr herzig: Sarah Otte), die ihre ältere Schwester nicht verraten will.

... und Gesundheitswahn

Das Ereignis des Abends ist Otto Schenk als Argan. Der frühere Josefstadt-Direktor hat nicht ganz zu Unrecht den Ruf eines Schauspielers, der sich meist selbst spielt und die Rollen für seine Stilmittel adaptiert. Das hat er hier nicht nötig, diese Rolle des raunzenden Hypochonders ist ihm geradezu auf den Leib geschrieben. Allein sein entspannter Gesichtsausdruck, wenn er nach einer Erleichterung seines Verdauungstraktes wieder die Bühne betritt, ist sehenswert. Er sorgt als Mund-Schenk Molièrescher Pointen dafür, dass das Glas dieser konventionellen Inszenierung weit mehr als halb voll ist. Lebhafter Applaus seitens des heuer in der Josefstadt nicht gerade verwöhnten Stammpublikums.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung