Neue feine Fritsch'sche Spaß-Maschine

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Das Burgtheater präsentierte mit Molières letzter Komödie "Der eingebildete Kranke" eine unverwechselbare, knallbunte Bonbonniere à la Herbert Fritsch. Dessen Inszenierungen sind ein radikaler Gegenentwurf zu allem, was gegenwärtig im Theater den Ton angibt.

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Das Burgtheater präsentierte mit Molières letzter Komödie "Der eingebildete Kranke" eine unverwechselbare, knallbunte Bonbonniere à la Herbert Fritsch. Dessen Inszenierungen sind ein radikaler Gegenentwurf zu allem, was gegenwärtig im Theater den Ton angibt.

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Es gibt im deutschsprachigen Theater zur Zeit kaum einen Regisseur, dessen Inszenierungen einen unverwechselbareren Look haben als die von Herbert Fritsch.

Dabei ist das Theater des Herbert Fritsch auch ein radikaler Gegenentwurf zu allem, was gegenwärtig im Theater den Ton angibt. Der 1951 geborene Augsburger, der in den 1990ern bei Frank Castorf zum Ensemble der Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz gehörte, bevor er 2007 endgültig das Weite suchte und als Spätberufener ins Regiefach wechselte, bekennt sich mit einer Offenheit zum Spaßtheater, wie kaum ein anderer sich das, angesichts des Tobens der Welt draußen, trauen würde.

Seine Inszenierungen, die er vornehmlich auch in der vermeintlichen Theaterprovinz in Halle, Oberhausen, Schwerin, Wiesbaden realisiert, verzichten auf Tiefgang, Bedeutung und höheren Sinn. Seine Theaterästhetik ist dem Vaudeville, dem Zirkus, dem Stummfilm näher als dem traditionellen Theater der Gegenwart. Statt auf Authentizität, vordergründige Politisierung, Besserwisserei, die ihm stets als Wichtigtuerei erscheint, setzt er auf Künstlichkeit, Artistik, Schabernack, Hanswurstiaden, Jux und Nonsens. Das Theater sei keine Schule, meint er in einem Interview mit der Wiener Zeitung, es sei ein kultischer Ort, wo die Leute einen Rausch erleben, den Durchblick verlieren, verwirrt werden sollen. In der Kunst solle man die Kunst behaupten, denn darin liege eine Möglichkeit, die Welt noch einmal ganz anders zu betrachten.

Bei allem Klamauk, den es zugegeben bei Fritsch immer auch gibt, sind seine Inszenierungen aber fundierter und hintergründiger, als dies ihr Spaßfaktor zunächst vermuten lässt. Darüber hinaus zeugt sein körperbetontes, oft artistisches Theater der Übertreibungen von großer Virtuosität und einem enormen handwerklichen Raffinement. Auch wenn der Witz, die Komik, der Humor mitunter überbordend, derb oder mit dem Holzhammer in Szene gesetzt sein mögen, Fritschs Arbeiten sind überaus fein justierte Spaß-Maschinen von höchster Präzision.

Auch die Inszenierung von Molières "Der eingebildete Kranke" ist ein solch kunstvolles Maschinchen, wobei Fritsch dem Ensemble um Joachim Meyerhoff in der Titelrolle, Dorothee Hartinger als dessen erbschleichende zweite Gattin, Marie-Luise Stockinger als Angélique, Ignaz Kirchner als Dr. Diafoirus und Markus Meyer als Dienstmädchen Toinette einiges Ungewohntes abverlangt.

Atonale Triller, aberwitzige Tremoli

Auf der vom Regisseur selbst erdachten, barocken Gassenbühne, auf deren seitlichen Kulissen sowie der Hinterwand eine riesige Röntgenaufnahme eines Skeletts aufscheint, stehen rechts und links sowie mittig je ein selbstspielendes Cembalo. Und diese Cembali werden in den gut zweieinhalb Stunden nicht nur die Szenen mit barocken Klängen, atonalen Trillern und aberwitzigen Tremoli untermalen, sondern sie geben, wie von Geisterhand bewegt, den Takt, den mechanischen Rhythmus der Inszenierung vor. Damit fokussiert Fritsch Molières Komödie um den eingebildeten Kranken Argan, der seine Tochter Angélique um jeden Preis mit einem Arzt verheiraten will (damit der leidende Hypochonder einen Schwiegersohn habe, wie er ihn braucht), nicht als psychologische Charakterkomödie, sondern als comédie-ballet. Daher tänzeln und trippeln, zappeln und zucken, springen und schwingen die Darsteller in ihren prächtigen Plastik-Barockkostümen von Victoria Behr unentwegt so, als wären sie aufgezogene Puppen. Dabei schneiden ihre unter meterhohen, farbenprächtigen Perücken und dick aufgetragener Schminke versteckten Gesichter exaltierte Grimassen, was das Zeug hält. Fritsch legt in seiner antipsychologischen, körperbetonten Inszenierung sein Augenmerk nicht auf die gedrechselte Sprache Molières, sondern auf das mimisch-gestische Potential der Posse.

Das gesprochene Wort bleibt dabei auf der Strecke, es rutscht die Sprache sogar immer wieder aus der Funktionalen. So spricht Dorothee Hartingers Bélinde den Namen von Toinette regelmäßig wie "Thonet" aus, redet Joachim Meyerhoffs Argan schon einmal vom "Mann in meiner Tochter" anstelle vom "Mann meiner Tochter", und "schick sie her" klingt hier wie Schickse (das meint Göre, leichtes Mädchen oder sogar Schlampe), vorlaut wird zu Vorhaut, aus dem Dr. Diafoirus wird Dr. Diarrhoe usw.

Wie für Molière gilt für Fritsch: Die Wahrheit ist die Wahrheit der Karikatur, die erst wahr wird durch die Übertreibung.

Der eingebildete Kranke Burgtheater, 19., 21., 31. Dezember

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