Zum 400. Geburtstag von Molière: Aus dem Geist des Gelächters
Der große Komödiant hielt seinen Zeitgenossen spöttisch den Spiegel vor.
Der große Komödiant hielt seinen Zeitgenossen spöttisch den Spiegel vor.
Das schönste Denkmal, das dem 1622 in Paris geborenen Dramatiker, Schauspieler, Regisseur und Entrepreneur Molière (bürgerlicher Name: Jean-Baptiste Poquelin) gesetzt wurde, ist Ariane Mnouchkines Film aus dem Jahre 1978. Die französische Regisseurin, wie ihr Vorbild Prinzipal(in) eines festen Ensembles, widmet sich einer Gründungsgeschichte des modernen europäischen Theaters. Es sind vor allem zwei Szenen, die das unterstreichen. Die eine bezieht sich auf das Jahr 1658: Molière spielt zum ersten Mal vor dem französischen König Ludwig XIV. und spottet über die (Ohn-)Macht der Mächtigen. Die wichtigste Waffe dieses neuartigen Theaters ist das Lachen.
Die zweite Filmsequenz, die von Mnouchkines Film unauslöschlich im Gedächtnis bleibt, ist die letzte in Molières Leben. Wie schon so oft zuvor spielt er auch bei der Uraufführung von „Der eingebildete Kranke“ am 10. Februar 1673 die Hauptrolle, eine Woche später erleidet er bei der vierten Vorstellung einen Blutsturz und stirbt Stunden später in seinem Kostüm. Leben und Theater fügen sich scheinbar nahtlos zusammen.
Es ist verführerisch, Shakespeare und Molière als Dramatiker, die das antike Theater auf exemplarische Weise erneuert haben, in einem Atemzug zu nennen. Was sie verbindet, ist die heute verschwundene Lust am Spiel, das dem Publikum, ob es will oder nicht, das Eigene im fremden Gewand vorführt. Beide Theatermacher, Unternehmer, Akteure und Autoren in einem, beschreiben die Bandbreite der Möglichkeiten, im Medium des Theaters dem Menschen den Spiegel vors Gesicht zu halten, im tragischen wie im komischen Format.
Menschliche Schieflagen
Im Unterschied zu Shakespeare konzentriert sich Molière auf das letztere. Mit dem französischen Dramatiker kommt ein Moment ins Spiel, das eine Erbschaft der Commedia dell’Arte ist und das den Moralismus der frühen Aufklärung vorwegnimmt, ein Wissen um menschliche Schieflagen und Bösartigkeiten. Wir lachen so lange, bis uns das Lachen im Halse stecken bleibt.
Mit Molière kommt das Volk, Bürger und Subalterne, an den Hof. Ohnehin lässt sich die Gesellschaft vom Theater kaum unterscheiden. Es ist ein Spiel mit unsichtbaren Masken, die wir vor uns hertragen und die unsere fatalen Seiten, Geiz, Eifersucht, Freude an der Intrige, Misanthropie, Hypochondrie und Scheinheiligkeit verbergen. Molières berühmtestes Stück „Tartuffe“, in dessen Zentrum die Umtriebe eines frommen Heuchlers stehen, wird auf Druck des Klerus verboten.
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