Mysteriöser Fall Titel

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Der Esoterik-Boom bewirkte eine Bontempelli-Ausgrabung.

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Der Esoterik-Boom bewirkte eine Bontempelli-Ausgrabung.

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Die Vorstellung ist ebenso schwer vorstellbar wie alptraumhaft - ein Kind verweigert sich seinen Eltern und schlüpft in eine fremde Identität. Im 1929 in Italien erschienenen, erst jetzt auf deutsch erschienenen Roman von Massimo Bontempelli passiert es auf höchst geheimnisvolle Art. Zwei Mütter, ein Kind: Die eine ist Arianna, Mutter des Buben Mario, der an seinem achten Geburtstag plötzlich behauptet, er sei der Sohn einer anderen, sei in deren Haus aufgewachsen und wolle augenblicklich zu ihr gebracht werden. Die zweite ist Luciana, eine ausgeflippte Künstlerin, die genau vor acht Jahren ihren achtjährigen Sohn Ramiro - der dem lebenden Mario aufs Haar gleicht - durch eine schwere Krankheit verloren hat. Als der Knabe dann noch wie selbstverständlich sein unverändertes, all die Jahre wie ein Heiligtum gepflegtes Kinderzimmer in Besitz nimmt und seiner Mutter verbietet, ihn Mario zu nennen, wird die Verwirrung beider Mütter dramatisch.

Rechtsanwälte werden herangezogen, die diesen Fall auch nicht zu lösen vermögen. Doch den beiden Müttern gelingt es, sich zum Wohl des Kindes so weit zu verständigen, daß ihm kein Leid geschehen soll. Der "Fall Mario Parigi", der einstmals in Rom durch die Zeitungen geisterte, endet schließlich ebenso mysteriös, wie er begann.

Massimo Bontempelli, neben Pirandello prägend für die moderne italienische Literatur der zwanziger Jahre, hat auf der Grundlage des authentischen Stoffes eine beklemmende, psychologisch fein ziselierte Geschichte geschrieben, die das Kind und die beiden Mütter in dieser Katastrophensituation leichtfüßig begleitet und ganz selbstverständlich zwischen begreiflichen und unbegreiflichen Realitäten tanzt. Das Kind hat kaum Probleme mit dem Wechsel seiner Identität, den Frauen gelingt es aus Mutterliebe, es nach Möglichkeit zu begleiten, die Männer durchkämmen vergeblich ihre rationalen Register im Kopf auf ähnliche Fälle.

Hat der Mutter, die ihr Kind verloren und begraben hat, der Glaube geholfen, den Sohn wiederzufinden? Hat sie ihn mit ihrer mentalen Kraft wieder zum Leben erweckt? Was ist mit der verlassenen Mutter, die von ihrem acht Jahre lang liebevoll gepflegten Kind plötzlich nicht mehr als Mutter erkannt wird? All diese Fragen löst der Autor höchst differenziert und niemals mit vordergründiger Esoterik, sein Roman ist eine reizvolle Wiederentdeckung und Lese-Empfehlung.

SOHN ZWEIER MÜTTER Roman von Massimo Bontempelli Übersetzung: Erika Cristiani Steidl Verlag, Göttingen 1998 192 Seiten, geb., öS 234,-

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