"Nennen Sie mich Mr. Lewis"

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Ausgerechnet Cineasten schwärmen von Jerry Lewis. Die große Viennale-Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum nimmt sich des 87-jährigen Komikers an.

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Ausgerechnet Cineasten schwärmen von Jerry Lewis. Die große Viennale-Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum nimmt sich des 87-jährigen Komikers an.

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Ach ja, Omas Schwarzweiß-TV-Apparat. Zu jenen Filmkomödien, die der ORF bis vor 20 Jahren am Samstag- und Sonntagnachmittag zeigte, gehörte auch eine ganze Reihe von Filmen mit Jerry Lewis. "Der verrückte Professor" oder die Musikfilme mit Lewis und Dean Martin sind ein Teil unserer Kindheit. Was haben wir gelacht über die Verrenkungen und Grimassen jenes irren Spaßvogels! Jahre später jedoch, beim nochmaligen Ansehen, kam die Ernüchterung: Wie konnte man sich nur für diesen infantilen Holzhammerhumor begeistern? Plötzlich gab man der Oma, die Jerry-Lewis-Filme immer für niveaulos hielt, Recht.

Doch Jerry Lewis hat auch seine Fangemeinde: Ausgerechnet Cineasten schwärmen von Jerry Lewis in den höchsten Tönen. In seinem Gesicht verbinde sich "das Äußerste an Künstlichkeit mit der Noblesse des wahren Dokumentarfilms", schrieb etwa Jean-Luc Godard, als er noch Filmkritiker war. Der Direktor des Österreichischen Filmmuseums Alexander Horwath hält Jerry Lewis für den "Neuerfinder der amerikanischen Komödie" und outete kürzlich sich selbst als Lewis-Fan - und auch den Viennale-Direktor Hans Hurch, was diesem sichtlich ein wenig peinlich war. Wenn es um Jerry Lewis geht, läuft bei Filmtheoretikern der Diskursgenerator auf Hochtouren: "Die Lewis'schen Figuren sind immer Empfänger, wie sie auch Überbringer sind. Als Möglichkeitsform eines jeden nehmen sie etwas in sich auf, setzen etwas in Handlungen um und geben dem Raum, was ihnen in anderen als Möglichkeit begegnet." Intellektuelle Kost, nachzulesen im Katalog zur Jerry-Lewis-Retrospektive der Viennale im Filmmuseum.

Eine umfassende Werkschau

Erstmals seit Jahrzehnten wird hier das Werk umfassend auf der Leinwand dargestellt. So kann jeder selbst überprüfen, ob es stimmt, dass Jerry Lewis die Neurosen des American Way of Life mit seinem bizarren Mienen- und Körperspiel präzise auf den Punkt bringt. In Frankreich gilt er als Zerrspiegel, der die USA zur Kenntlichkeit entstellt. Lustigerweise sieht das auch die archetypische österreichische Oma so, doch sie vermag dahinter keine kritische Absicht zu erkennen: Ihr Antiamerikanismus bringt sie dazu, Jerry Lewis zu hassen, während die europäischen Intellektuellen Jerry Lewis aufgrund ihres Antiamerikanismus lieben.

Warum Filmemacher wie Godard und die anderen Franzosen sowie Martin Scorsese, Stephen Spielberg oder Quentin Tarantino für Jerry Lewis Hochachtung empfinden, liegt auch an seiner Bedeutung als "Auteur", als "totaler Filmemacher" ("Total Filmmaker" ist der Titel eines Buches von Jerry Lewis aus 1971, das als eines der besten zum Thema Filmregie gilt).

Nachdem Lewis 1949-56 in fast zwei Dutzend Filmen gemeinsam mit Dean Martin aufgetreten war und dann in einigen Streifen als alleiniger Hauptdarsteller für Heiterkeit sorgte, nahm er ab dem Jahr 1960 alles selbst in die Hand: Von nun an war er nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Regisseur, Produzent und oft auch Drehbuchautor. Für viele junge Regisseure wurde Jerry Lewis somit zum Rollenmodell, weil er bewies, dass es auch im hermetischen System Hollywoods möglich war, ganz eigene Wege zu gehen. Das sieht man Filmen wie "Hallo, Page!", "Der verrückte Professor" oder "Die Heulboje" auch an: Sie sind eine seltsame Mischung aus Arthaus-Film und geschmackloser Brachialkomödie.

Eine hierzulande unbekannte Facette des Schaffens von Jerry Lewis ist wahrscheinlich letztlich für seinen Ruhm verantwortlich. Denn in den Live-Auftritten, Live-Radio- und TV-Shows gemeinsam mit Dean Martinzelebriertendiebeideneinen anarchischen Humor, der nahtlos an die Marx Brothers anschloss. Das Duo, das in den Rollen des unwiderstehlichen Charmeurs (Martin) und des Vollidioten (Lewis) köstliche Doppelconferéncen ablieferte, brachte das Publikum schier zum Brüllen. Kostproben davon sind in der Retrospektive als Vorfilme zu sehen - möglicherweise die wahren Höhepunkte der Rückschau.

Ein bisschen von diesem Humor kommt in dem großartigen Interview zum Vorschein, das Peter Bogdanovich mit Jerry Lewis führte und das im Katalog zur Viennale-Retrospektive abgedruckt ist.

Begegnung mit Charlie Chaplin

Lewis erzählt von seiner Kindheit als Sohn eines jüdischen Vaudeville-Darstellers, seinen Anfängen, von der Partnerschaft mit Dean Martin, von seinen Kämpfen mit den Studiobossen, von seinen Frauen, von Schauspielerkollegen und von seiner Tablettensucht (seit er sich 1965 bei einem Stunt an der Wirbelsäule schwer verletzte, leidet der 87-Jährige unter starken Schmerzen). Und immer wieder muss der Leser in schallendes Gelächter ausbrechen. Lewis setzt in dem Gespräch die Gags so punktgenau, als ob er vor Publikum auftreten würde. Umwerfend, wie er die erste Begegnung mit seinem großen Idol Charlie Chaplin schildert: Seine Knie schlotterten vor Aufregung, als er zu der Komikerlegende geführt wurde. "Nenn mich Charlie", sagte Chaplin freundlich, als er ihm die Hand reichte. "Nennen Sie mich Mr. Lewis", erwiderte Jerry - und Chaplin warf sich weg vor Lachen. Wer dieses Interview liest, versteht plötzlich den Kult, der um Jerry Lewis gemacht wird. Und auf einmal ist es wieder wie vor Omas Schwarzweißfernsehapparat.

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