"Ohne dass dabei falsche Töne enTsTehen"

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JAHRHUNDERTELANG KOLONIE,MASSENVERFOLGUNG UND ERMOR-DUNG DER KOMMUNISTEN SOWIE EINE RECHTSDIKTATUR HINTERLAS-SEN SPUREN IN DER JUNGEN INDO-NESISCHEN LITERATUR. GOENAWAN MOHAMAD IM GESPRÄCH ÜBER LITERATUR, POLITIK UND RELIGION.

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JAHRHUNDERTELANG KOLONIE,MASSENVERFOLGUNG UND ERMOR-DUNG DER KOMMUNISTEN SOWIE EINE RECHTSDIKTATUR HINTERLAS-SEN SPUREN IN DER JUNGEN INDO-NESISCHEN LITERATUR. GOENAWAN MOHAMAD IM GESPRÄCH ÜBER LITERATUR, POLITIK UND RELIGION.

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Im Herbst 2015 wird Indonesien Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse sein. 350 Jahre holländische Kolonie, das unbewältigte Geschichtsereignis "1965" - der gewaltsame Machtwechsel von Sukarno zu Suharto, Massenverfolgung und Ermordung der indonesischen Kommunisten, daraufhin 33 Jahre Rechtsdiktatur unter Suharto (1965-1998): Diese Erfahrungen hinterlassen Spuren in der Literatur. Einer der bekanntesten literarischen Akteure ist Leiter des Buchmesse-Organisationskomitees: Goenawan Mohamad, geboren 1941 in Zentraljava, Gründer des einflussreichen Wochenmagazins Tempo, Autor von Gedichtbänden und Theaterstücken, Essays und zahllosen Kolumnen.

BOOKLET: Können Sie einige der wichtigsten Themen in der aktuellen indonesischen Literatur nennen?

GOENAWAN MOHAMAD: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich darauf eine eindeutige Antwort geben kann. Die Werke der gegenwärtigen indonesischen Literatur setzen sich mit höchst unterschiedlichen Themen auseinander: von der Gewissheit des Glaubens bis zur Unberechenbarkeit des Lebens, vom Schmerz der Frau bis zur Banalität des Guten.

BOOKLET: Der im Herbst erscheinende Roman "Alle Farben Rot" von Laksmi Pamuntjak bezieht sich teilweise auf das altindische Epenwerk "Mahabharata" über Macht und Liebe. Diese kulturelle Tradition wird im Roman mit dem schwierigen politischen Thema der Gefangeneninsel Buru verknüpft -auf Buru hielt das Suharto-Regime bis zum Ende der 1970er-Jahre tausende politische Gefangene fest. Wie fügt sich dies in der Literatur zusammen?

MOHAMAD: Das "Mahabharata" berührt alle unsere alltäglichen Allegorien, und die furchtbaren Dinge, die 1965 passierten -die Ermordung tausender von Menschen, die willkürliche Inhaftierung so vieler Männer und Frauen, der Terror der politischen Sprache, die gewaltsame Diskriminierung des Anderen -durchdringen unweigerlich unser kollektives Unterbewusstsein, wo das Wüten des Bösen auch das Tugendhafte undurchschaubar gemacht hat. In Laksmis Roman, ebenso wie in vielen Neuinterpretationen des Mahabharata, wechseln Helden und Schurken die Positionen und Identitäten.

BOOKLET: In den für den Herbst geplanten Übersetzungen setzen sich mehrere Autorinnen mit dem Thema "1965" auseinander. Ist das ein indonesischer Trend - explizit politische Autorinnen?

MOHAMAD: Die Literatur von indonesischen Frauen war schon immer politisch, schon seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Zu einem großen Teil liegt es wahrscheinlich daran, dass sie vom ersten Satz an soziale Fesseln zu überwinden hatten. Im späten 19. Jahrhundert schrieb eine junge Frau namens Kartini Briefe, die später legendär wurden. Darin beharrt sie auf dem Recht der Frau, selbst über ihre Zukunft zu bestimmen. In den 1930ern schrieb Suwarsih Djojopuspito einen Roman, in dem sich während der dunklen Zeit der nationalen Befreiung Indonesiens eine feminine Stimme artikulierte. In den 1950ern schrieb Nh. Dini über den stillen Kampf der Frauen um Authentizität. In den 1990ern und im frühen 21. Jahrhundert eroberte Ayu Utami mit ihren Romanen neue Territorien für die Art, wie Frauen über Sex, politische Unterdrückung und die zwiespältigen Freiheitsrufe der Religion schreiben.

BOOKLET: Religion ist in Indonesien, einem Land mit 200 Millionen Muslimen (fast 90% der Einwohner), zu einem Konfliktthema geworden. Wie gehen Schriftsteller damit um?

MOHAMAD: Viele Autoren bestätigen in ihren Erzählungen die Sicht der Religion auf das Leben -mit dem Ergebnis, dass sie vorhersehbar werden. In der indonesischen Prosa gab es eine Konjunktur religiös begründeter Moral -es handelt sich dabei meistens um muslimische Autoren. Aber Lyrik ist eine andere Welt, man kann die Poesie nicht zum Predigen gebrauchen, ohne dass dabei falsche Töne entstehen.

BOOKLET: Auch Sie schreiben über Glauben.

MOHAMAD: Im Herbst erscheint in Berlin eines meiner Bücher mit dem Titel "God and Other Unfinished Things". Das Buch besteht aus 99 kurzen Gedankenfragmenten, es sind reflexive Reisenotizen und philosophische Grübeleien zugleich. Sie setzen sich größtenteils mit Fragen des Glaubens auseinander, mit Schönheit und Grausamkeit des Glaubens.

BOOKLET: Hinduismus, Konfuzianismus, Buddhismus und Christentum beeinflussen das kulturelle Leben. Wie sieht es mit säkularen Einflüssen aus, zum Beispiel mit moderner Literatur aus China oder Indien?

MOHAMAD: Wir wissen sehr wenig über moderne indische und chinesische Literatur. Soweit ich weiß, sind einige der Romane von Mo Yan übersetzt und ebenfalls "Mitternachtskinder" von Rushdie, aber eine indonesische Version von "Die Satanischen Verse" würde ich nicht in unseren Buchhandlungen erwarten.

BOOKLET: Gibt es Schwierigkeiten beim Übersetzen?

MOHAMAD: Linguistische Probleme zwischen zwei entfernten Sprachen gibt es immer. Im Indonesischen gibt es kein Geschlecht in der dritten Person. Es gibt kein "sie" und "er", der Rhythmus unserer Sprache folgt einem eigenwilligen Muster, deutliche jambische oder daktylische Silben gibt es nicht und wir formulieren Zeiten anders.

BOOKLET: Wie wichtig ist der weltbekannte Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer (1925-2006) für heutige Leser und Schriftsteller in Indonesien?

MOHAMAD: Er bleibt ein machtvolles Symbol, aber sein Stil und seine Formenwahl sprechen gegenwärtige Autoren nicht mehr an. Heute begeistern sich Autoren eher für Werke wie "Die Blechtrommel","Hundert Jahre Einsamkeit","Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins","Der Gott der kleinen Dinge" oder "Kafka am Strand". Heutige Autoren finden die Prosa von Tolstoi oder Sartre langweilig.

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